Zehnundeine Nacht
bei den Kunden am besten ankamen. Sie erzielten auch die höchsten Preise.»
«Das ist schon klar», sagte der König ungeduldig. «Aber diese neuen Heiligen waren doch gar nicht echt.»
«Sie hatten alle ein Zertifikat mit dem päpstlichen Siegel.»
«Trotzdem», sagte der König. «Sie konnten keine Wunder tun.»
«Warum nicht? Solang die Leute an sie glaubten ...»
«Die Geschichte gefällt mir nicht», sagte der König ungnädig. «Aber erzähl sie trotzdem zu Ende.»
Vor dem Fenster heulte schon wieder die Sirene eines Polizeiautos.
«Weil das Angebot an Schutzheiligen aller Preisklassen plötzlich so groß war», sagte die Prinzessin, «wurde die Ware schnell billiger. Ein richtiggehender Preissturz. Der Abt mit der Dukatentruhe zum Beispiel bekam für nur die Hälfte seines Geldes gleich fünf komplette Heilige. Einen für den Hauptaltar und vier für die Seitenkapellen. Für den heiligen Gregorius interessierte er sich überhaupt nicht mehr, obwohl der Kaufmann ihm den schließlich zum halben Preis anbot. Mit dem Schädel des heiligen Archibald als Zugabe. Der Zeigefinger der heiligen Dorothea war überhaupt nichts mehr wert. So etwas verschickte der Vatikan jetzt mit seinem eigenen Katalog als Warenmuster.»
«Dann blieb der Kaufmann also auf seiner Knochenkiste sitzen?»
«Nicht nur das», sagte die Prinzessin. «Er konnte den lombardischen Verleihern auch ihr Geld nicht zurückbezahlen. Und die wollten sofort die ganze Summe wiederhaben, nicht mehr nur die monatlichen Zinsen. Schließlich waren die Reliquien, die als Sicherheit für den Kredit gedient hatten, jetzt fast nichts mehr wert.»
«Ja, ja», sagte der König ungeduldig, «und der Kaufmann ging deswegen bankrott, und darüber soll ich dann lachen. Ich lache aber nicht. Es konnte gar nichts anderes kommen. Da hast du mir auch schon Besseres erzählt. Du musst dir wirklich mehr Mühe geben.» Mit einem schlechtgelauntenGrunzen wollte er sich schon auf seine Schlafseite wälzen, aber die Prinzessin war mit ihrer Geschichte noch nicht fertig.
«Der Bankrott war nicht das Schlimmste», sagte sie. «Bei weitem nicht das Schlimmste.»
Jetzt hörte ihr der König wieder zu.
«Die lombardischen Geldverleiher glaubten ihm nämlich nicht, dass er kein Geld mehr habe. Sie waren überzeugt davon, er habe es nur irgendwo versteckt. Und um ihn zum Reden zu bringen ... »
«Lass mich raten!» Der König spielte ganz aufgeregt mit dem Kreuz an der goldenen Kette. «Sie haben ihn ... »
«Gefoltert», bestätigte die Prinzessin.
«Das war nur logisch», sagte der König. «Aber wie haben sie es gemacht?»
«Zuerst schnitten sie ihm einen Finger ab. Und dann, als er nur schrie und kein Geld herausrückte, einen zweiten. Und danach einen dritten.»
«Und er hatte wirklich kein Geld mehr?»
«Nein», sagte die Prinzessin. «Er hatte alles in den heiligen Gregorius investiert. Das glaubten sie ihm nur nicht. Selbst als irgendwann alle seine zehn Finger vor ihm auf dem Tisch lagen.»
«Das ist lustig», sagte der König. «Nur: Ist er nicht ohnmächtig geworden? Das kommt oft vor, und dann verliert man immer endlos Zeit.»
«Ein paar Mal ist das wohl passiert», sagte die Prinzessin. «Aber sie hatten ihre Methoden, um ihn immer schnell wieder zurückzuholen.»
«Profis», sagte der König.
«Geschäftsleute», sagte die Prinzessin. «Sie dachten, irgendwann würde er ihnen doch noch ein Versteck verraten. Aber als sie ihm dann auch beide Ohren abgeschnitten hatten und gerade bei der Nase ansetzen wollten, fiel er plötzlich tot um. Herzinfarkt.»
«Ja», sagte der König, «das passiert manchmal. Da kann man sich noch so Mühe geben.»
«Zuerst wollten sie seine Leiche einfach in den Fluss werfen», sagte die Prinzessin. Sie redete jetzt ein bisschen schneller, wie sie es gegen Schluss einer Geschichte oft tat. «Aber dann hatte einer von ihnen eine bessere Idee.»
«Ja?», sagte der König.
«Sie haben ihn gekocht», sagte die Prinzessin.
«Was wird denn das für eine Geschichte?», fragte der König und verzog das Gesicht. «Du verdirbst einem ja den Appetit. Gleich wirst du mir erzählen, dass sie ihn mit Lorbeer und Pfeffer gewürzt und dann serviert haben.»
«Das war nicht nötig», sagte die Prinzessin und tupfte mit ihrem Nachthemd an der Wunde unter ihrer Brust herum. «Sie wollten nur das Fleisch von den Knochen lösen. Um dann das Skelett zu verkaufen.»
«An wen?»
«Irgendeinen süddeutschen Bürgermeister, der nach Mailand
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