Zeichen im Schnee
schließlich waren sie nach Alaska gekommen, um abgeschieden von welthaften Dingen und anderen Menschen leben zu können –, doch Schofield kam immer wieder mit neuen Angeboten. Er war anscheinend entschlossen, die ganze Küste bei Kenai in eine Art Themenpark zu verwandeln. Nachdem er sie ungefähr ein Jahr lang genervt hatte, ohne dass sie auf eins seiner Angebote eingegangen waren, griff Schofield zu anderen Methoden. Eine Brücke, die sie über einen Bach gebaut hatten, wurde zerstört, die Straße zu ihrem Gelände wurde mit einem Presslufthammer aufgebrochen, ihre Umzäunung wurde eingerissen, woraufhin ihnen Vieh abhanden kam. Die Altgläubigen begegneten all diesen Einschüchterungsversuchen mit Gleichmut; sie reparierten den Zaun, bauten die Brücke wieder auf und schütteten die Schlaglöcher in der Straße zu. Sie waren es gewöhnt, verfolgt zu werden, und sie hatten schon kreativer sein müssen als in dieser Angelegenheit.
«Als das alles nichts nützte, wurde er richtig tückisch», sagte Medwedew. «Er hatte einen Trupp Altgläubige für ein Bauvorhaben am Meadow-See angeheuert. Er ging zu ihnen und versuchte sie gegen die Gruppe in Homer aufzuhetzen, indem er ihnen erzählte, ihre Brüder versperrten ihnen den Weg zu einem Haufen Geld. Er dachte, er könnte die Gruppe spalten, er dachte, wir sind bloß Hinterwäldler.»
Medwedew leerte schnell noch ein Glas Tee und erzählte weiter. Statt sich abzuspalten, war die Meadow-See-Gruppe direkt zu Galloway gegangen, um ihm zu berichten, was Schofield vorhatte.
«Von da an war Schofield hinter Peter Galloway her», sagte Natalia. «Peter versperrte Schofield den Weg zu seinem Traum. Schofield hat ihn angerufen und bedroht. Einmal fand Peter einen toten Wolf vor seiner Tür.»
«Hat er die Vorfälle gemeldet?»
Natalia schüttelte lächelnd den Kopf. Ihr Vater beantwortete die Frage.
«Wir wollen nicht verwickelt werden.»
«Aber jetzt sind Sie darin verwickelt.»
«Jetzt haben wir keine Wahl.»
Edie trank einen Schluck Tee. Er war bitter und zugleich zuckersüß. «Sie denken also, dieser Schofield hat Ihrem Mann den Tod des Jungen untergeschoben?»
«Ja», sagte Natalia. «Deshalb müssen wir genau wissen, was Sie der Polizei erzählt haben.»
Natalia warf ihrem Vater einen scharfen Blick zu. Ihre Augen waren groß und wässrig. Edie bemerkte Natalias Blick; sie hatte das Gefühl, dass die junge Frau etwas zurückhielt.
Natalia schluckte schwer. «Meistens lassen wir uns nicht in die Außenwelt verwickeln, wenn wir nicht müssen, aber Peter ist da anders. Er war nicht von Geburt an ein Altgläubiger. Er wollte etwas wiedergutmachen …» Sie zögerte «… sein Vorleben. Er hat sich ehrenamtlich für ein Bildungsprojekt engagiert, als wir auf dem Gelände bei Homer lebten. Er hat TaniaLee Littlefish das Lesen beigebracht.»
Edie spürte Natalias Hand auf ihrem Arm. Sie dachte an das Schneewehen-Muster rund um das Geisterhaus, an die dünne vereiste Schneedecke auf dem Dach. Es war nicht erst verlassen worden, kurz bevor sie Peter und Natalia im Wald begegnet war, was aber nicht hieß, dass sie es nicht zu einem anderen Zeitpunkt verlassen haben konnten.
«Überlegen Sie doch mal, Edie Kiglatuk. Wenn wir das Baby dort zurückgelassen hätten, hätte Peter Ihnen dann geraten, den Weg zu nehmen, der direkt an der Leiche vorbeiführte?»
Edie schloss für einen Moment die Augen. Ihr Kopf war voll von widersprüchlichen Gedanken. Teils wollte sie dieser jungen Frau glauben, doch nichts, was sie gesagt hatte, bewies irgendetwas. Was, wenn sie und Galloway gewollt hatten, dass Edie die Leiche fand? Man konnte nie wissen.
«Ich werde der Polizei keine Lügen erzählen», erklärte sie.
Natalia nahm ihre Hand von Edies Arm.
«Wir bitten Sie nicht, zu lügen», sagte sie. Ein kalter Ton hatte sich in ihre Stimme geschlichen.
Edie wandte sich an den alten Herrn. «Sie müssen mich jetzt wieder nach Anchorage bringen.»
Draußen war es schon dunkel. Holzkopf sprang auf und begrüßte sie schwanzwedelnd. Während der Fahrt schwiegen sie. Anatol Medwedew hielt gegenüber von Edies Haus. Als sie aussteigen wollte, streckte er seinen Arm aus, um sie aufzuhalten.
«Vierhundert Jahre wurden wir verfolgt», sagte er leise und fixierte Edie mit einem Blick, aus dem jahrhundertealte Traurigkeit sprach. «Wir kamen nach Alaska und dachten, es hätte endlich aufgehört. Seit vierzig Jahren leben wir hier und zahlen klaglos unsere Steuern.»
Sie stieg aus
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