Zeichen im Schnee
«O ja, ja natürlich.» Sie beschrieb ein Häuschen auf einem Hügelkamm außerhalb von Homer, sagte, dass Otis und Annalisa Littlefish dort sehr lange zurückgezogen gelebt hatten, und schilderte Edie den Weg dorthin.
***
Die Holzhütte der Littlefishs hätte in Autisaq nicht einen einzigen Winter überlebt – auf dem Dach fehlten Schindeln, und eine Fensterscheibe war durch transparente Plastikfolie ersetzt worden. Doch hier, oberhalb von Homer, eingebettet zwischen Bäumen, sah die Hütte auf rustikale Weise gemütlich aus. Die Littlefishs schienen zu Hause zu sein. Der Schornstein rauchte, und in einem Carport mit gewelltem Plastikdach stand ein großer alter Pritschenwagen, abgedeckt mit einer Plane. Auf beiden Seiten war Feuerholz gestapelt, und in einem Hackklotz steckte eine Axt. Auf einer Fichte neben dem Carport putzte sich ein Seeadlerpärchen.
Edie sprang aus dem Mietwagen. Ein großer einheimischer Mann mit wettergegerbtem Gesicht, die fettigen Haare zu einem Zopf geflochten, erschien mit einem Gewehr in der riesigen Hand. Vielleicht bekamen Otis und Annalisa Littlefish nicht so oft Besuch, dachte Edie, oder vielleicht waren die Besucher, die kamen, nicht willkommen. Sie stapfte die Stufen hinauf und bemühte sich um einen freundlichen Gesichtsausdruck. Der Mann stand da und wartete, dass sie etwas sagte. Sie erklärte, weshalb sie gekommen war, und sah seine Miene milder werden. Er war ihr sogleich sympathisch.
Otis bat Edie herein. «Es war schwer für meine Frau», sagte er. «TaniaLee war ein wildes Kind. Wir hatten sie und unseren Enkel schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.» Er sprach leise, seine Stimme klang schmerzerfüllt. «Die Polizei hat sie in eine Anstalt gesperrt, und wir dürfen sie nicht besuchen. Vielleicht ist es so leichter für sie, ich weiß es nicht.»
Er bot ihr einen Stuhl an dem Holztisch neben der kleinen Kochnische an und ging seine Frau holen, die hinter dem Haus den Schuppen putzte, in dem sie das Wild ausnahmen. Er kam mit einer kleinen, fülligen Frau mit langen Zöpfen und Gummistiefeln zurück, eine Einheimische wie ihr Mann. Sie streckte ihre gelbliche arthritische Hand aus, fragte Edie, ob sie etwas trinken wolle, und setzte Wasser auf.
Otis und Annalisa sahen beide nicht aus, als hätten sie
qalunaat
-Blut in sich. Da der kleine Junge im Schnee ein Mischling war, hatte er also wahrscheinlich einen weißen Vater. Vielleicht Fonseca, den TaniaLee als ihren Mann bezeichnet hatte? Edie nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen.
Während Annalisa Tee und einen Imbiss zubereitete, ging Otis hinaus, um Holz zu holen. Er hatte einen eigenartig breitbeinigen Gang, der das rechte Bein stärker belastete.
Annalisa sagte: «Otis kann Weibergeschwätz nicht ausstehen.»
Sie kam mit einem Tablett auf Edie zu, auf dem sie drei dampfende Becher und einen Teller gedörrte Lachsstreifen mit gefrorenem Rogen obenauf balancierte.
«Darf ich Ihnen mein Beileid ausdrücken?», sagte Edie.
Annalisa wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
«Die Polizei sagt, TaniaLee hätte einen Mann namens Fonseca erwähnt», fuhr Edie fort. Sie wollte ihnen nicht sagen, dass sie ihre Tochter in der Klinik besucht hatte. «Ich vermute, er ist Lucas’ Vater, ja? Muss ziemlich schlimm für ihn sein.»
Annalisa zog die Schultern hoch. «Wir kennen keinen Fonseca», sagte sie kurz angebunden. Otis kam wieder herein, und ihre Miene entspannte sich. Er setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber.
«Ich sagte Ihrer Frau gerade, wie leid es mir tut, Mr. Littlefish», sagte Edie. Das alte Ehepaar starrte ins Weite, ihre Gesichter waren verschlossen und angespannt. Edie kannte diesen Blick aus Autisaq. Sie war zu weit gegangen bei ihrem Versuch, sie dazu bringen, über den Toten zu sprechen. Es war Zeit, das Thema zu wechseln.
«Ein schönes Haus haben Sie.»
Annalisa lebte sogleich auf, ein kleines stolzes Lächeln auf den Lippen.
«Zwanzig Jahre leben wir schon hier», sagte sie. «Ich und Otis haben es gebaut.» Sie bot die Häppchen an, und Edie bediente sich.
«Lecker, der Lachs», sagte sie. «Danke schön.»
«Sind Sie Inupiaq?», fragte Annalisa.
Edie erklärte, warum sie nach Alaska gekommen war. «Und Sie?»
Die alte Frau hatte ihr anfängliches Widerstreben, aus sich herauszugehen, offenbar überwunden. Sie waren Vollblut-Dena’ina, waren von den Wohnblocks in der Umgebung der Stadt Kenai in den Wald gezogen, um von den vielen Menschen wegzukommen, und obwohl
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