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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie McGrath
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hinüber. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, bemerkte aber Dereks Blick und lächelte zaghaft.
    «Wie heißt du?»
    Das Mädchen gab keine Antwort.
    Um einen Anschein von Hilfsbereitschaft bemüht, sagte der Mann: «Sie spricht kein Englisch.»
    Derek drehte sich blitzschnell zu ihm herum und richtete die Pistole auf sein blutendes Glied.
    «Sie hat dir totsicher alles gesagt, was sie dir sagen musste.» Er wandte sich an das Mädchen: «Wir bringen dich ganz schnell von hier weg.»
    Sie kam langsam auf ihn zu. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und es war schwer zu sagen, ob sie überhaupt mitbekommen hatte, dass Derek etwas gesagt hatte. Einen Moment lang dachte Derek, sie wollte aufs Klo, doch im Näherkommen stürzte sie zur Tür, und weg war sie. Er hörte sie die Treppen hinunterpoltern. Zack warf ihm einen Blick zu, der besagte: Soll ich hinterher? Derek schüttelte den Kopf.
    Aus dem Augenwinkel sah Derek, dass der glatzköpfige Mann Anstalten machte, sich zur Tür zu pirschen. Zach musste es auch bemerkt haben – in Sekundenschnelle sprang der Polizist nach vorn und warf sich mit dem Rücken gegen die Tür, die Pistole ununterbrochen auf ihr Ziel gerichtet. Der Glatzkopf verzog das Gesicht. Sein ganzer Körper sackte nach vorn. Er wusste, er hatte verloren.
    Zach trat zu ihm.
    «Dein Name, A-loch?»
    «Harry Larsen.» Der durch den Biss hervorgerufene Adrenalinrausch verflüchtigte sich. Das Gesicht des Mannes war gelb, und er sah ängstlich drein. «Hört zu, jetzt macht mal halblang, Jungs. Ich komm euch entgegen, okay? Ich bin bloß ’n kleines Licht. Ich werd euch alles sagen.»
    Zach sah Derek an. «Harry Larsen sagt, er ist bloß ’n kleines Licht.»
    «Da mag er recht haben», sagte Derek.
    Der Mann schloss die Augen, dann holte er tief Luft.
    «Tu uns einen Gefallen, kleines Licht, pack dein Gerät ein und nimm die Hände hinter den Rücken.»
    Larsen tat wie befohlen, dabei stöhnte er vor Schmerzen. Zach trat zu ihm. «Wenn du mich mit diesen Händen anfasst, mach ich dich kalt.» Er legte Larsen Kunststoff-Handschellen an.
    «Ich denke, wir sollten jetzt auschecken, Polizist», sagte Derek. Das Bier, das er den ganzen Abend lang getrunken hatte, stieß ihm blubbernd auf, und er schluckte es mit aller Macht hinunter. Zu Larsen sagte er: «Keine Sorge, wir haben schon eine andere Unterkunft für dich organisiert. Du kriegst eine Pritsche und einen Mit-Freier zur Gesellschaft. Sicherheitsschlösser an allen Türen. Und stell dir vor, wir berechnen nicht mal was dafür.»
    ***
    Die Straße war Edie inzwischen vertraut, und in den letzten Tagen hatte sie genug Erfahrung gesammelt, um das Auto steuern zu können ohne Angst, sich zu überschlagen oder im Straßengraben zu landen. Trotzdem war sie vorsichtig, als sie von der Schnellstraße in den schmalen Weg einbog, der zu der russisch-orthodoxen Kirche in Eagle River führte. Es war mitten in der Nacht, und die seit dem letzten Schneefall nicht geräumte Straße war total vereist. Die Kirche war nicht das Hauptziel der Fahrt – Edie wollte noch einmal zu dem Altgläubigen-Besitz und zu den Gebäuden hinter dem hohen Drahtzaun, um ein bisschen herumzuschnüffeln, wenn alle schliefen –, aber weil die Kirche mehr oder weniger am Weg lag, hatte sie den Wunsch, Lucas Littlefishs letzte Ruhestätte zu besuchen und zu dem Jungen zu sprechen.
    Sie parkte neben der Kirche, nahm ihre Taschenlampe und ging durch den Garten mit den Geisterhäusern bis zur Grabstätte der Littlefishs. Lucas’ Geisterhaus war blau und mit geometrischen Mustern bemalt, die zumeist von Schnee verdeckt waren. Schnee hatte sich auf dem Dach aufgetürmt, war zum Teil getaut, hatte sich aufs Neue angehäuft, sodass ein eigenartiges zinnenartiges Muster aus Eis und Neuschnee entstanden war, wodurch Lucas’ Grabstätte nicht so sehr wie ein Haus aussah als vielmehr wie ein kleines Schloss. Die Littlefishs praktizierten die unter ihresgleichen häufigste Form der russischen Orthodoxie, eine Mischung aus traditioneller Kirche und indigenen Elementen. Edie ging in die Hocke, leuchtete mit der Lampe durch das Fenster und sah das blau-braune Tuch im athabaskischen Webmuster, in das der Leichnam des Babys gehüllt worden war, nachdem man ihn aus dem vermutlich von der Gemeindeverwaltung vorgeschriebenen
qalunaat
-Sarg genommen und auf traditionelle Weise zur letzten Ruhe gebettet hatte.
    «Lucas», sagte sie, «
Qanulppit?
Wie geht es dir?
Qiuviit?
Ist dir kalt?» Sie sprach in

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