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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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überlegte. Günther Assmanns Reaktion konnte auch ein Ausdruck von Sorge gewesen sein. Eine, die er vielleicht nicht zeigen wollte. Erst recht nicht einer Lehrerin, die offensichtlich nicht viel von ihm hielt. Andererseits zeugte der nächtliche Streit mit seiner Frau tatsächlich nicht von einem besorgten Vater.
    »Wir würden jetzt gerne mit den Klassenkameraden von Marius und Rebecca sprechen.«
    In dem Moment erklang dreimal ein Gong, und Ehrlinspiel fühlte sich in seine eigene Gymnasialzeit zurückversetzt. Der typische Sound zu Unterrichtsbeginn hatte sich zumindest nicht verändert. Auch nicht der Geruch in den Fluren, diese Mischung aus Staub und essighaltigem Putzmittel. Und auch der hässliche grüne Linoleumbelag nicht.
    Das Stimmengewirr verstummte. Etwa fünfzehn Augenpaare richteten sich auf Ehrlinspiel und Josianne, als der Direktor sie vorstellte.
    Der Hauptkommissar setzte sich mit einer Pobacke auf die Kante des Lehrerpultes, Josianne blieb mit verschränkten Armen und etwas breitbeinig stehen. Wie ein Kerl, sie weiß, wie sie Eindruck macht, dachte er und begann: »Tut mir leid, wenn ich Sie so kurz vor dem Abitur um einen Teil Ihres Politikunterrichts bringe.« Jemand kicherte. »Aber wir möchten uns gerne mit Ihnen über einen Mitschüler unterhalten. Marius Assmann.«
    Noch wusste niemand offiziell vom Verschwinden der Geschwister. Dramatisieren durfte Ehrlinspiel aber nicht, wenn er nun die Situation erklären musste. Edgar Habermaß hatte die polizeiliche Pressemeldung heute früh an die Tages- und Regionalzeitungen, den Rundfunk und lokale Fernsehsender geschickt, so dass er nicht vorausgriff. »Marius und seine Schwester Rebecca sind gestern hierher zur Schule aufgebrochen. Zur dritten Stunde, wie Sie alle – wegen der großen Konferenz. Sie sind nicht angekommen. Niemand weiß, wo sie sind.«
    Ein Murmeln ging durch die Reihen. »Marius ist wohl da, wo er schon immer war«, sagte ein Junge mit schulterlangem Haar, das von hinten ins Gesicht geföhnt schien. Der Platz neben ihm war leer.
    »Wie meinen Sie das?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Im Unsichtbarland.«
    »Sind Sie Konstantin?«
    »Ja, warum?«
    »Marius sitzt oft neben Ihnen. Wie gut kennen Sie ihn?«
    Konstantin sah ein paar Mitschüler an. Hob dann erneut die Schultern.
    »Heißt das gut? Oder schlecht?«
    »Er sitzt halt hier im Kurs. Unsichtbar. Da und doch nicht da.«
    »Wer von Ihnen« – der Kommissar stand auf und ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern – »ist mit Marius befreundet?«
    Schweigen. Wie vermutet.
    »Niemand?«
    »Es ist schwer, sich mit Marius anzufreunden.«
    Ehrlinspiel musterte den jungen Mann mit dem kurzen blonden Haar. Er trug einen dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt. Vor ihm lagen zwei Bücher, Kante auf Kante. Daneben ein Block und ein frisch gespitzter Bleistift. »Weshalb?« Er sah aus wie aus einem englischen Internat.
    »Assmann junior redet nicht mit anderen.«
    Ein Mädchen hinten flüsterte etwas Unverständliches.
    Der Blonde drehte sich zu ihr um.
    »Bitte?«, hakte Ehrlinspiel nach.
    »Er … Marius redet halt kaum. Wie Torben gesagt hat.«
    »Torben, das sind Sie?«, fragte er den Blonden.
    Der nickte.
    »Torben«, begann der Direktor, »Sie stehen doch öfter mit Marius auf dem Schulhof zusammen. Wenn Sie etwas wissen, bitte, sagen Sie es.«
    Der Junge schob den Unterkiefer vor. »Tut mir leid, Herr Direktor. Marius hält sich einfach gern in meiner Nähe auf. Ich weiß nicht, warum.« Er sah zu Konstantin. »Auch Konstantin kann nichts dafür, dass Assmann junior sich gern neben ihn setzt.«
    »Verstehe.« Doch Ehrlinspiel verstand es nicht. Marius wirkte auf den Bildern sympathisch und offen. War es möglich, dass er gehemmt war? Oder arrogant? »Hat jemand von Ihnen eine Idee, wo Marius und seine Schwester stecken könnten?«
    Niemand antwortete. Die Sitznachbarin von Torben mahlte ununterbrochen mit den Kiefern, und als sie eine kleine Kaugummiblase aus dem Mund schob, sah sie Ehrlinspiel direkt an. Ihr Haar leuchtete wasserstoffblond, die Augen waren schwarz umrandet, und ihre Beine unter dem Tisch steckten in kniehohen Lackstiefeln. Der Hauptkommissar schüttelte sich innerlich.
    »Wie sieht es mit Lerngruppen aus? Arbeitet jemand mit Marius zusammen?«
    »Ne.« Die Kaugummiblase platzte.
    Ehrlinspiel fürchtete, dass er nicht weit kommen würde, und tatsächlich quittierten die jungen Leute sowohl seine als auch Josiannes weitere Fragen mit »ne«, »keine

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