Zeig mir den Tod
ihr Mann sie im Gespräch mit mir sieht. Als könne sie mir etwas verraten, was er nicht duldet. Er hat uns vom Haus aus beobachtet, als ich im Garten mit ihr sprach. Sie hat wie ich ihren Mann hinter dem Fenster bemerkt und ist sofort auf Abstand zu mir und dem Annika-Gedenkstein gegangen.«
»Hast du Assmann gefragt, was die ›Schande‹, von der die Rede ist, sein könnte?«, fragte Freitag.
»Klar. Er war erst völlig still, aber an seinem Hals hat eine Ader pulsiert. Er ist hin und her gelaufen, und plötzlich hat er losgebrüllt. Hat den Absender als dreckigen Verleumder und Lügenmaul beschimpft und gesagt, dass er, Günther Assmann, ein anständiger Mann sei. Seine Frau stand weinend ein paar Schritte entfernt und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Beide leugnen, irgendeine Ahnung zu haben, was mit den Nachrichten gemeint ist. Allerdings konnte sie kaum sprechen, er war der Wortführer.«
»Hat er zurückgesimst?«
»Nein. Er sagte wörtlich: ›Auf so ein Intrigantenspiel lasse ich mich nicht ein.‹«
»Er weigert sich, die Forderung zu erfüllen?«
»Bisher ja.«
»Verflucht. Ist der Kerl ein Stein oder was?« Lederle fuhr sich über den polierten Schädel. »Sammeln wir weiter. Was haben wir an objektiven Befunden?«
Ein Kollege aus der Telekommunikationsüberwachung ergriff das Wort. »Rebecca Assmanns Handy war zum Zeitpunkt der ersten Nachricht genau gegenüber des Theaters eingeloggt. Rotteckring. Für exakt eine Minute und siebenundzwanzig Sekunden. Die zweite SMS kam über den Sendemast zwischen Bursengang und Kaiser-Joseph-Straße. Innenstadt also. Das Handy war knapp drei Minuten am Netz. Das Handy von Marius war nach wie vor nirgends eingeloggt.«
»Sehr raffiniert. Anmachen. Ausmachen. Wie weit weg von dem jeweiligen Funkmast kann der Absender eigentlich gewesen sein?« Ehrlinspiel kannte sich mit Handyortung nicht aus. Selbst die Spezialisten hatten Mühe, mit den rasanten Entwicklungen der Technik mitzuhalten.
»Im Stadtgebiet in einem Umkreis von etwa einhundertundfünfzig bis dreihundert Metern. Außerhalb sind es zwei bis drei Kilometer.«
»Der Typ will ein Rätsel schicken. Er muss also wieder simsen. Wie lange dauert es, bis wir bei einer SMS den betreffenden Funkmast identifizieren?« Ehrlinspiel blickte in den Beamerstrahl, als schicke der ihm die Lösung.
»Fünfzehn bis zwanzig Minuten. Selten länger. Der Provider steht schon in den Startlöchern. Aber es ist Samstagvormittag. Kaum eine Chance. Die Innenstadt wimmelt vor sonnenhungrigen Leuten, die den ersten trockenen Tag zum Einkaufen und Kaffeetrinken nutzen. Zeig mir den, der da ohne Mobiltelefon unterwegs ist.«
»Wo ist Assmanns Handy jetzt?«, fragte Judith Maiwald, und alle Köpfe drehten sich zu der Frau, die nur zwei Armlängen von Ehrlinspiel entfernt saß.
Der Hauptkommissar spürte, dass die junge Wirtschaftskriminalistin ihn direkt ansah, auch wenn Schatten ihr Gesicht verdunkelten. »Es ist bei Assmann«, sagte er und blickte von Judith weg. Weg von den hell schimmernden Haaren, dem Flaum am Haaransatz, der Silhouette ihrer Brüste, die so weich und gleichzeitig fest waren. »Nur er selbst ist in der Lage, gegebenenfalls schnell zu antworten. Im Moment ist Josianne Schneider bei ihm. Sie wird ihn nicht aus den Augen lassen.«
»Wir drehen alles um. Jeden Kiesel. Jedes Sandkorn.« Lederle ging vor den Tischen auf und ab, und die Gesichter der Kinder wanderten immer wieder verzerrt über seinen Kopf, wenn er durch den Projektionsstrahl ging. »Familienhistorie. Abstammung. Kollegen. Konflikte im Umfeld. Finanzen.« Beim letzten Wort zeigte er auf Judith Maiwald. Dann drückte er einen Knopf an der Wand, und summend fuhren die Jalousien hoch.
Ehrlinspiel blinzelte auf die sonnenbeschienenen Dächer hinaus, auf die man von hier oben einen wunderbaren Blick hatte.
»Wer immer die Kinder in seiner Gewalt hat«, sagte Judith, »kennt die Familie. Ich denke, wir –«
»Lasst uns zuerst die Fakten beenden.« Lederle nickte dem Kollegen der TKÜ zu.
Judith verzog keine Miene, ihre schlanken, unberingten Hände lagen locker übereinander auf dem Fahndungshandzettel.
»Der Mobilfunkanbieter hat die Liste mit Anrufen der letzten drei Tage geschickt«, sagte der TKÜ -Mitarbeiter. »Marius hat nicht viel telefoniert. Zwei ausgehende und drei eingehende Gespräche zu Rebeccas Handy, jeweils nach Schulschluss. Ein Anruf zu seiner Großmutter in Kirchzarten vor genau einer Woche. Das Gespräch dauerte fast
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