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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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hinter den geschwungenen Balkonen besetzt. Das Licht wurde dunkler, die Menge still. Mit gedämpftem Rattern öffnete sich der schwere, purpurfarbene Vorhang.

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    23
    Sonntag, 20 Uhr
    F rühling, Frühling! In seinem Kopf herrschte Frühling, auch in seiner Brust und in seinem Bauch, und sogar seine dünnen Beinchen, die ihn seit sechsundsiebzig Jahren durch die Welt trugen, wollten einen Walzer tanzen.
    Ihre Hand lag knotig in seiner, und sie schlurften die schmale Straße entlang, traten immer wieder beiseite ins Gras und küssten sich zaghaft im Mondlicht wie zwei Teenager, die längst hätten zu Hause sein müssen und die noch nicht recht wussten, wohin das Leben und die Liebe sie führen würde.
    Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, um nicht über die Steine am Wegrand zu fallen. Ein Käuzchen rief. »Hörst du das?«
    »Mhm.«
    Er sah sie von der Seite an, sah ihr silbernes Haar und dachte, wie schön sie aussah mit den Falten, die das Leben eingegraben hatte und die so viel erzählen könnten. Er wollte noch ganz viel über sie wissen. Über die Frau, die er auf dem Friedhof kennengelernt hatte.
    Sie blieb stehen, um zu verschnaufen. »Da vorne ist schon die Kiesgrube.«
    »Lass uns zurück ins Dorf gehen. Vielleicht am Wald entlang. Ich mag Bäume auch lieber als den Baggersee und Förderanlagen. Oder hast du Angst?«
    Sie kicherte wie ein Schulmädchen. »Ich bin zu alt für Angst.«
    »Aber jung genug für die Liebe.« Er war über seine eigenen Worte erstaunt.
    Wieder rief das Käuzchen, wie um seine romantischen Gedanken zu bestätigen. Auf die Idee, dass sein Rufen auch eine Warnung hätte sein können, kam er nicht.
    Langsam gingen sie weiter, zwischen Feldern hindurch. Es duftete nach Wald und ersten Kräutern.
    Links lag eine große Wiese. Sie bogen von dem geteerten Weg auf den Feldweg ab. Bis zum Waldrand waren es nur wenige Meter. Er überlegte, sie zu fragen, ob sie bei ihm übernachten wollte. Ein breites Bett aber hatte er nicht, hatte noch nie eines besessen. Die paar Mal, als er als junger Bursche mit einer Frau geschlafen hatte, war das immer im Sommer im Stall gewesen. Das hatten sie toll gefunden, die Weiber. Sex im Stroh.
    Unvermittelt schrie eine Krähe. Eine zweite. Das Käuzchen antwortete. Ein Windstoß strich über den Wald, es rauschte, und ein paar Wolken trieben über den Mond. Die Wiesen und Feldwege versanken in Schwärze.
    Rasch packte er sie und zog sie an sich. Seine spröden Lippen fanden ihre, und im nächsten Moment schon empfand er nichts mehr außer Wärme und ein Kribbeln und Pulsieren, als sei sein ganzer Körper ein Feuer. »Ich liebe dich«, murmelte er. Dass der Mond hinter den Wolken hervorkam, sah er nicht. Auch nicht, dass sie die Augen geöffnet hatte und über seine Schulter hinweg an den Rand des Weges starrte, dorthin, wo es leise plätscherte. Deswegen verstand er nicht, warum sie seinem Griff entglitt, an ihm hinabrutschte, die Arme schlaff, und vor ihm auf den Boden sackte.
    »Berta?« Er begann zu zittern, und die Hitze schlug in Kälte um. Vor Angst. Vor Verzweiflung. Er bückte sich, sah sie im fahlen Licht liegen, zusammengekrümmt. Er wollte um Hilfe rufen. Doch aus seinem Mund kam kein Wort. Er richtete sich auf. Drehte sich suchend um, er musste Hilfe holen.
    Große Vögel flogen lautlos vom Boden auf.
    Dann sah er es.
    Doch trotz seines Entsetzens konnte er auch jetzt nicht schreien.

[home]
    24
    Sonntag, kurz nach 20 Uhr
    E r war ganz ruhig. Seine Entscheidung war gefallen. Er blickte von der Neben- auf die Hauptbühne, wo Gott und die Erzengel in langen Gewändern standen, eingetaucht in bläuliches Licht.
Prolog im Himmel.
Und Epilog in der Hölle, dachte Günther. Gleich werdet ihr ihn erleben!
    Als er gleich darauf hinaustrat, sah er sie sofort: Edith, die renommierten Journalisten und Jan Winckler, den Intendanten des Wiener Burgtheaters.
    Günther ging einige Schritte nach vorn, blieb neben dem alten Schreibtisch des Gelehrten stehen und senkte den Kopf ein wenig, so, wie er es seit Monaten geprobt hatte. »Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! Durchaus studiert mit heißem Bemühn.« Edith blickte zu ihm hoch. Winckler lächelte sein festgewachsenes Lächeln, das Blitzlicht eines Fotografen blendete Günther, und er glaubte, Annikas Gesicht vor sich tanzen zu sehen. »Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.« Er breitete die Arme aus. »Heiße Doktor, heiße

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