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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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»entschuldige, die
Totenflecke,
sind genau da, wo sie in der jetzigen Auffindeposition entstehen. Und ebenfalls voll ausgeprägt. Der Kerl wiegt fünfundsechzig bis siebzig Kilogramm, trug eine Daunenjacke. Laut Abgleich von rektal gemessener Körperkerntemperatur und Umgebungstemperatur setze ich den Todeszeitpunkt vorläufig auf gestern Abend fest. Natürlich unter Berücksichtigung der Algor-Mortis-Veränderung mit Faktor eins Komma vier wegen mehrlagiger, durchfeuchteter Kleidung und leichtem Wind.« Er gestikulierte, als wolle er einen Hörsaal voller unwissender Studenten aufklären. »Henßge-Nomogramm. Das ist –«
    »Ich weiß, was das ist, Reinhard.« Ehrlinspiel ging zu dem Wagen der Kriminaltechniker. »Rektal- und Lufttemperatur im frühen Post-mortem-Intervall messen, Wind, Feuchte, Bekleidung, Lage des Toten und sein geschätztes Gewicht in der Korrekturtabelle nachsehen, alles in diesem bogenförmigen Schema einzeichnen, ablesen, fertig.«
    Larsson hob den Kopf und lächelte.
    »Dann war er sofort tot?« Ehrlinspiel schluckte. »Er lag also nicht noch verletzt hier über viele Stunden?«
    »Wahrscheinlich. Schau dir diesen Mond und die Sterne an. So klar. Der sanfte Windhauch und das Plätschern des Baches, das ist Leben! Und das Beste, Moritz: endlich Frühling! Zeit für die Liebe.« Er zwinkerte.
    Ehrlinspiel glaubte, sich verhört zu haben.
    Ein paar Männer riefen sich hinter dem Absperrband, das knisternd im Wind flatterte, etwas zu, und einer winkte herüber.
    Dass Larsson außer seinen Toten überhaupt etwas mitbekam, verwunderte Ehrlinspiel. Dass er sich genötigt fühlte, Fröhlichkeit zu heucheln, noch mehr.
    Der Arzt zog einen Mundwinkel nach oben, als hätte er Ehrlinspiels stumme Frage erraten. Dann nickte er zu den Männern. »Es spricht sich herum. Und weißt du was: Ich gönne es dir.«
    »Das muss mein Glückstag sein!«
    »Carpe diem, mein Freund!«
    Freund!
Der Kriminalhauptkommissar schüttelte den Kopf. Er hatte ein schlechtes Gewissen wegen Hanna, die allein vom Theater hatte nach Hause gehen müssen, in einer fast fremden Stadt, in eine Wohnung, die einer chaotischen Kistenburg glich, und zu zwei Katern, denen sie noch misstraute, Bentley obendrein krank. Das hatte sie nicht verdient. Doch noch weniger hatte ein Kind es verdient, hier, fast bei dem Kieswerk, wie ein Stück Müll tot im Graben zu liegen. »Kannst du schon etwas über die Todesursache sagen?«
    »Abwarten. Nach Hause gehen. Das Leben genießen.« Wieder zwinkerte Larsson.
    Das Pochen in Moritz’ Schläfen wurde stärker. »So wie du?« Wo und wie der Rechtsmediziner lebte, wusste niemand. Ehrlinspiel stellte sich oft vor, dass er die Nacht allein am Seziertisch verbrachte, gelbe, verfettete Hautlappen beiseiteklappte, blutige Gehirne wog, in Scheibchen schnitt, Kehlköpfe der Länge nach aufschlitzte und akribisch all die Dinge tat, die dem Kommissar bei Obduktionen so nahegingen. Tatsächlich war Reinhard Larsson ein brillanter Wissenschaftler, dem so schnell kein Geheimnis der Toten entging. Privat, so sagten böse Zungen, wohne er in einem kahlen Betonklotz und schlief einsam zwischen kühlen Laken. Natürlich waren beide Varianten pure Spekulation: Nächte im Obduktionssaal und Betonklotz. Aber dass ein so empathieloser Mensch ein intaktes Familien- oder gar Liebesleben haben könnte, das konnte sich niemand im Team vorstellen.
    »Alles ist möglich.« Larsson zog den zweiten Handschuh aus. »Übrigens, nicht erschrecken. Vögel waren schon an der Leiche. Große Vögel. Krähen, Raben oder Möwen vermutlich. Die gibt’s hier nämlich wie Kiesel am Rhein. Und weiche Leichenteile sind geradezu ein Festschmaus für sie.«
    »Komm, Moritz.« Freitag, der schweigend zugehört hatte, deutete mit dem Kinn zu den Flutlichtern und Menschen.
    »Der Bestatter ist unterwegs.« Larsson stellte seinen Koffer fast liebevoll auf den Beifahrersitz der Corvette. Dann schälte er sich in Sekundenschnelle aus dem Overall, drückte ihn Ehrlinspiel in die Hand, schwang sich in seine schnittige Karosse und telefonierte, den Ellbogen lässig auf die Fahrertür gelegt. »Ich muss Sie sehen«, sagte er. »Sagen wir, in einer Stunde?«
    Der Hauptkommissar verdrehte die Augen. Nahm aus dem Wagen der Techniker zwei neue Schutzanzüge, reichte einen davon Freitag und warf Larssons gebrauchten mit etwas zu viel Schwung in die Müllwanne. »Warte bitte auf uns, Reinhard«, rief er dem Rechtsmediziner extra laut zu und bückte sich unter

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