Zeig mir, was Liebe ist
noch nichts als Hitze gewesen war. Sie schlang die Arme um
sich. Ryans Zorn verscheuchte auch den letzten Funken von Verlangen
in ihr und machte sie noch verletzlicher. "Mich benehmen?"
Er
sah sie streng an und bückte sich, um seinen Hut aufzuheben. "Du
hast eine Lektion erteilt bekommen, mein kleines Mädchen, und
ich hoffe, du hast gut aufgepasst."
"Eine
Lektion?" wiederholte sie perplex. Sie verstand das alles nicht.
"Wovon redest du?"
"Ich
rede davon, was passiert, wenn eine Frau einen Mann verrückt
macht."
Er
zupfte einen nicht vorhandenen Fussel von seiner Hutkrempe und setzte
den Hut dann auf. "Ich habe gesehen, wie du Beldon im Park
geküsst hast. Ich sah, wie du zugelassen hast, dass er dich mit
seinen Händen überall betatscht."
Eine
kleine Ewigkeit, wie ihr schien, konnte sie nichts anderes tun, als
ihn anzustarren. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. "Was
hat Nathan damit zu tun, was gerade zwischen uns beiden passiert
ist?"
Ryan
schüttelte den Kopf und lächelte dann … ganz das
Bild mitleidiger Nachsicht. "Schätzchen … das
versuche ich dir ja gerade zu erklären. Nichts ist zwischen uns
geschehen, außer dass ich dir eine kleine Lektion im
Erwachsenwerden erteilt habe."
Es
kam ihr vor, als wäre sie gerade mitten in einem Kinofilm
gelandet – in einem Horrorfilm oder in einem ausländischen
Film – zum Beispiel einem französischen Film mit
chinesischen Untertiteln. "Lektion im Erwachsenwerden?"
"Genau.
Darling, ich habe dir gerade beigebracht, dass, wenn es ein Mann wie
Beldon gewesen wäre und nicht jemand wie ich, der sich um dich
sorgt, dann lägest du bereits flach und wärst
kompromittiert."
Die
Zeit stand still, während ihr Gehirn mit seiner Reaktion und
seinen Worten kämpfte, bis sie schließlich alles kapiert
hatte.
Ryan
hatte sie nicht geküsst, weil er sie gewollt hatte. Er hatte sie
geküsst, weil er meinte, sie müsste vor sich selbst
geschützt werden, wenn es um Männer ging, und weil er
glaubte, ihr zeigen zu müssen, wie falsch ihr Verhalten gewesen
war. Er hatte sie geküsst, weil er dachte, sie hätte sich
mit Nathan nicht richtig verhalten, und wenn er sich nicht
eingemischt hätte, wäre sie vielleicht, der Himmel möge
es verhüten, kompromittiert gewesen.
Ein
ungläubiges Lachen brach aus den Tiefen ihres verletzten Stolzes
hervor. " Kompromittiert ? Hast du wirklich dieses Wort
benutzt?" Sie lachte erneut, vergrub das Gesicht in den Händen,
holte tief Luft und ließ die Hände wieder sinken. Sie
funkelte ihn an. "Aus welchem viktorianischen Schinken hast du
denn diesen Ausdruck ausgegraben?"
Ryan
zuckte zusammen und wurde zu ihrem großen Erstaunen sogar ein
wenig rot. Um sein Unbehagen zu überdecken, hob er warnend den
Zeigefinger. "Beldon hätte nicht wie ich aufgehört."
"Okay,
nur damit wir uns nicht missverstehen: Du hast mich geküsst und
gegen die Wand gedrängt, um mir Angst zu machen, richtig?"
"Verdammt
richtig. Und ich hoffe, es hat gewirkt. Wenn du auch nur einen Funken
Verstand besitzt, wirst du zwei Mal nachdenken, bevor du …"
"Bevor
ich was?" unterbrach sie ihn, als ihre Wut mit voller Kraft
zurückkehrte. "Bevor ich losgehe, mich einem anderen Mann
vor die Füße werfe und ihn bitte, mich zu deflorieren? Da,
das ist doch das richtige Wort für dich. Du findest es im
Wörterbuch wahrscheinlich direkt neben kompromittieren ."
Sie
rang erschöpft nach Atem und fuhr sich mit den Händen
durchs Haar. Wie bedauernswert war sie eigentlich? Wie Mitleid
erregend war sie, dass sie wirklich geglaubt hatte, er hätte sie
geküsst, weil er sie gewollt hatte? Weil er genauso erregt und
verliebt in sie gewesen war wie sie in ihn?
Nun
gut. In einer Beziehung hatte er Recht. Sie hatte tatsächlich
eine Lektion gelernt: Vertraue auf deinen Verstand, nicht auf dein
Herz. Ihr Verstand hatte schon vor Wochen gewusst, dass sie die
Hoffnung aufgeben sollte, Ryan für sich zu gewinnen. Es war ihr
Herz, das nicht im Einklang mit dieser Absicht gestanden hatte.
Doch
jetzt war es im Einklang … zerbrochen und blutend, doch im
Einklang. Und ein zweites Mal würde sie Ryan nicht erlauben, sie
derart zu demütigen.
"Verschwinde",
befahl sie ihm, ging mit zittrigen Beinen zur Tür und riss sie
weit auf.
"Oh,
nun komm schon, Bärchen", begann er in diesem gönnerhaften
Ton, der in Carrie den Wunsch weckte, ihn irgendwo zu beißen,
wo es besonders schmerzte. "Nun reg dich doch nicht so auf. Du
weißt, dass es nur zu deinem Besten war."
"Ich
weiß",
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