Zeilen und Tage
kein Fundament, und die Kirche war kein Gebäude, sondern ein Resonanzkreis oder eine Eidgenossenschaft der Herzen. Die frommen Fälscher, die den an Petrus gerichteten Satz einfügten, glaubten, sie täten Jesus einen Gefallen, wenn sie ihn als Bauherrn, nicht als Botschafter, darstellten. Mit der noblen Bauherrenlüge fangen die christlichen Versteinerungen an. Daß die Verdrehung der Botschaft nur wenig jünger ist als die Botschaft als solche, verrät einiges über die üblichen Schwierigkeiten bei der Institutionalisierung des nicht Institutionalisierbaren. Kaum ist die Message in der Welt, stürzen sich die Makler auf sie. Sie stellen sich an, als ob das Wesentliche aus dem Felsen unter den Sandalen der Patriarchen käme und nicht aus dem surrealistischen Herzen.
In Franz Werfels Science-fiction-Universum scheint man auf alles gefaßt zu sein, nur nicht auf einen Trend zur steigenden Komplexität der Weltverhältnisse. Der Erzähler sieht eine einfarbige Zukunft voraus – die universale Grauwelt, die notwendigerweise auch einsprachig redet. Unfehlbar wird so der konservative Reflex wachgerufen: Wenn die Zukunft alle lebendigen Differenzen abschafft, ist die bunte Misere der Gegenwart vorzuziehen, so unerträglich sie den Zeitgenossen erscheint. Werfel hat das Verdienst, bewiesen zu haben, daß Science-fiction das Medium des Konservatismus ist. Sie führt vor, was künftig möglich wird, damit man den Geschmack am Jetzigen nicht verliert.
Der Sport im Kern der Politik: Napoleons unbegreiflicher Elan darf auf keinen Fall bloß als angeborener Energieüberschuß gedeutet werden, erst recht nicht als Ausfluß von ideellen Impulsen, obschon bereits die Intellektuellen von damals dazu neigten, ihn als einen der Ihren anzusehen, als einen homme de lettres in Stiefeln. Man muß sich Napoleons Kondition aber vor allem als Trainingseffekt einer physischen Praxis denken, genauer einer kavalleristischen Lebensform. Wenn der kleine Korse seine Mitwelt überrollte, dann auch, weil er als Energiesubjekt im Sattel einen uneinholbaren Trainingsvorsprung vor allen anderen machthabenden Zeitgenossen besaß. Neben ihm waren der Zar und der Kaiser in Wien kaum mehr als couch potatoes.
Der energische Mann aus Corte bewältigte im Sattel auch die längsten Strecken, es sind Ritte von 12 Stunden bezeugt, die er gelassen bewältigte, alle zwei Stunden die Pferde wechselnd. Bei seinem legendären Ritt von Valladolid nach Burgos im Januar 1809 legte er über 120 Kilometer im Galopp zurück. Die Mitwelt machte sich gelegentlich über seinen uneleganten Sitz im Sattel lustig, ohne zu bedenken, daß ein Mann, der als Junge auf korsischen Ponys im Gebirge reiten lernte, kein Interesse daran hatte, irgend jemandem durch perfekte Paradehaltung zu imponieren. So hing er gelegentlich beunruhigend schräg im Sattel und fiel von Zeit zu Zeit vom Pferd, weil er in seinen strategischen Rêverien versäumte, aufs Gelände zu schauen.
Napoleon steht am Scheitelpunkt des modernen Dynamismus, als sich Politik, Sport, Krieg und Delirium noch nicht voneinander getrennt hatten. Oft hat man davon gesprochen, daß in der Person Bonapartes ein Sturm der Tüchtigkeit über Europa hinwegging, den man als Übersprung des Genieprinzips aufs politische Feld erklären wollte. Napoleon war aber nicht so sehr ein Genie, sondern mehr ein Fitnessphänomen. Bainville nannte ihn ein Aktivitätsmonstrum. Er war die Epiphanie des sportlichen Menschen an der Spitze des Staats, eine flamboyante Synthese aus Mythen und Muskeln. Nach oben konnte er nur kommen, weil er eine Mehrkampfpersönlichkeit war, in der die wesentlichen Disziplinen ineinanderflossen – vom Reiten bis zum Kartenlesen und zum Aktenstudium. Er war ein umgekehrt ikarisches Phänomen, sein Daseinsmodus war der Sturz nach oben.
An Hegels Bemerkung von der Weltseele zu Pferde hat man seit jeher die Pferd- und Reiterseite unterschätzt. Typisch für die deutsche Philosophie: bis heute hat kein Habilitierter danach gefragt, wie das Pferd hieß, auf dessen Sattel Napoleon von Hegel bei Jena gesehen wurde. Es könnte der berühmte Marengo gewesen sein, der 1793 in Ägypten geborene Araberschimmel, dessen Skelett heute, wie man liest, als Teil der Siegerbeute von Waterloo im Armeemuseum von London aufbewahrt wird. Es lebte nach seinem letzten Schlachteinsatz noch lange auf einem englischen Gestüt und starb wie Hegel im Jahr 1831.
Napoleons Maler waren hippologisch besser informiert. Für sie stand außer
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