Zeilen und Tage
melancholisch, halb gelassen läßt er die ziehen, die dabei mitmachen werden.
In dem Fernsehgespräch mit BHL in der hier vielbeachteten Sendung von Franz-Olivier Giesbert, das von meinem Buch handeln sollte, zeigte Bernard keine Neigung, auf das angekündigte Thema einzugehen. Statt dessen wiederholte er, kontextfrei, seine seit 25 Jahren unveränderte Lieblingsthese, wonach das Böse eine Realität sei, die man auch im Realen bekämpfen müsse. Da mir nicht nach einer scholastischen Disputation über die gefallene Welt zumute war, ließ ich die Äußerung unkommentiert. Mir schien, etwas mehr intellektuelle Gastfreundschaft hätte der Begegnung nicht geschadet, zumal seitens eines Autors, der sich auf Levinas beruft. Dessen Motto: Après vous, monsieur!, die Kurzfassung seiner Ethik, ließe andere Verhaltensformen erwarten. Im übrigen würde kein Philosoph das Wort »mal« mit großem M schreiben, es sei denn, er nimmt es in Kauf, die Grenze zur Theologie zu überschreiten – was freilich auf französischem Boden nicht besonders auffällt, weil seit der Revolution Prinzipienkriege altpersischen Stils zur intellektuellen Folklore des Landes gehören.
Tatsächlich nennt sich BHL jetzt ganz ironiefrei einen »Krieger«, ohne zu bemerken, daß er nun ganz in den persischen Dialekt verfällt. Ich hielt im Studio-Gespräch dagegen, der Denker könne bestenfalls ein Feldarzt, doch kein Krieger sein. Die neue Pariser Krieger-Rhetorik wird von einem romantischen Maskulinismus getragen, der um sich greift, seit Paul Veyne seinem Freund Foucault das Prädikat »guerrier« verliehen hat. Ein Hauch von homophilem Kitsch ist im Spiel, auch das ewige jakobinische Plädoyer vor dem schwankenden Konvent. Denker konnten bisher alles mögliche sein: Redner (Gorgias), Lehrer (Aristoteles),Mönche (Dionysios), Kardinäle (Kusanus), Soldaten (Descartes), Linsenschleifer (Spinoza), Diplomaten (Leibniz), Professoren (Kant, Fichte, Hegel), Pensionäre (Schopenhauer), Künstler (Nietzsche), Ärzte (Jaspers), Seher (Heidegger). Aber Krieger – unmöglich.
In Paris werde ich zur Konversationsmaschine, die Aphorismen ausdruckt, ganz Stroh und Feuer. Ist die Hysterie vorüber, überführe ich meine Asche ans heimische Domizil.
Bei Strasbourg dicke, sehr langsam fallende Schneeflocken, wie von einer Firma für Spezialeffekte geliefert.
6. März Karlsruhe
Wohin die levinasianische Rede vom Vorrang des Anderen führt? Ist nicht der Andere einfach ein beliebtes Pseudonym für das Ich?
Das Denken der Neuzeit ist von Theorien durchzogen, die feststellen, daß die meisten Menschen gar keine richtigen Menschen sind: Ganz am Anfang sprach de la Boëtie von den freiwilligen Knechten; darauf kamen die französischen Moralisten zu Wort, für welche diese defizienten Geschöpfe die Höflinge waren, die wie Automaten funktionieren. Es folgt eine ganze Kaskade von Verfehlungen: Für die Jakobiner sind die mißlungenen Menschen die Frevler gegen die nationale Einmütigkeit; für Fichte sind es die Deterministen; für Hölderlins Hyperion sind es die Deutschen; für die Romantiker die Philister; für Hegel die Bewohner des geistigen Tierreichs; für die Marxisten die Arbeiter vor der Erlangung des Klassenbewußtseins; für die Anarchisten der Bürger überhaupt; für die Rassisten der Neger; für Nietzsche der bisherige Mensch als solcher; für Leninisten der Bourgeois; für die Freudianer der Unanalysierte; für Sartre der Dreckskerl;für Adorno der autoritäre Charakter; für Marcuse der eindimensionale Mensch; für Max Frisch der Beamte; für die Grünen der Verbraucher, der nicht Bio kauft.
Wie der persische Reichsvirus in den Westen gelangte: Die Vermittlung vollzog sich ohne Zweifel durch den Alexanderkult, nachdem sich der Mazedonier selbst direkt bei Darius III. angesteckt hatte. Von ihm hatte er den Titel »König der Könige« übernommen. Alexanders Leiche, die im ägyptischen Alexandria begraben lag, galt über Jahrhunderte als die kostbarste Reliquie des Römischen Imperiums. Caesar selbst soll sie aufgesucht und ihr gehuldigt haben, hierin trat Augustus wie bei allem übrigen in seine Fußstapfen. Als im 5. Jahrhundert die Spuren des Grabes verlorengingen, war die von Alexander verkörperte und von den Caesaren rezipierte Großkönigsidee so tief ins politische Bewußtsein des »Abendlandes« eingeprägt, daß sie auch ohne äußeren Ankerpunkt überdauern konnte.
Hätte das Grab des Mazedoniers die Wirren der 5. Jahrhunderts und der
Weitere Kostenlose Bücher