Zeilen und Tage
ihrem eigenen Besten geschlagen werden sollten?
Finde im Perlentaucher einen Bericht über ein dreitägiges »Bankentribunal« an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, organisiert von den Theaterleuten und der deutschen Sektion von Attac, an dessen Ende die abwesenden Angeklagten – Merkel, Steinbrück, Schröder, Ackermann, Tietmeyer – »schuldig« gesprochen wurden. Eine Kommentatorin sagte von dem Spektakel, es habe den »diskret-totalitären Appeal eines Femegerichts« besessen.
Nun tauchen erste Indizien auf, wonach Lech Kaczynski an dem Desaster ursächlich beteiligt war, da er ohne Zweifel auf den Piloten Druck ausgeübt hatte. Andernfalls hätte dieser niemals vier Landeversuche ausgeführt, obwohl der Tower ausdrücklich von der Landung abgeraten und eine Umleitung zur nächstgelegenen Stadt empfohlen hatte. Auf einem Flugplatz ohne Instrumentenlandesystem, der bei dichtem Nebel so gut wie unerreichbar war, mußte die Anweisung, dennoch zu landen, fast unausweichlich in die Katastrophe führen. Nur Kaczynski selbst kann die Anordnung gegeben haben, wahrscheinlich über einen nachgeordneten Offiziellen in der Maschine. Daß der Staatschef tragisch übermotiviert war, rechtzeitig zu den Gedenkfeiern in Katyn zu kommen, ist gut zu verstehen – doch wenn es so wichtig war, warum nicht am Vortag anreisen? Von jetzt an gibt es massive Anhaltspunkte für den Verdacht, der polnische Präsident habe sich der fahrlässigen Tötung von 95 Menschen schuldig gemacht. Doch wie man die polnischen Bigotten kennt, werden sie eher Kapellen für ihn errichten, als ihn posthum zur Rechenschaft zu ziehen.
13. April, Karlsruhe
Prominenz ist eine Form der Explikation von
a) Ruhm
b) Verdienst
c) Rankingeffekten überhaupt
d) Mana, Glamour, Charisma
e) Autorität
15. April, Karlsruhe
Mit großer Resonanz bei der Karlsruher Bevölkerung begann heute das Experiment mit den Diplombürger-Studiengängen an unserer Schule. Eine Art von zivilgesellschaftlichem Erwachen liegt in der Luft – jenseits der simulatorischen Demokratie.
17. April, Karlsruhe
Früher plädierte ich gelegentlich für »graue Politik« – aus Scheu vor Einbrüchen des Dilettantismus in die Sphäre der Sachfragen. Zudem hatte ich unter dem Einfluß von Luhmannschen Argumenten geglaubt, man müsse dafür sorgen, daß das Subsystem Politik nach seinen eigenen Regeln funktioniert, ohne ständig auf die Stimmungen von übernervösen Bürgern eingehen zu müssen. In diesem Punkt habe ich meine Ansicht geändert: Über Zivilenthusiasmus und Gemeingeistbewegungen kann und soll man viel positiver denken. Ich sehe ein, ohne das »Leuchten der Gesinnung«, von dem Albert Schweitzer in anderen Zusammenhängen sprach, ist auch bei der Reanimation zivilgesellschaftlicher Tugenden nichts zu erreichen!
Bei schönstem Wetter legt ein stiller Ausnahmezustand Europa lahm. Vulkanaschewolken aus Island machen den Flugverkehr fast überall unmöglich. Meteorologen haben die Deutungshoheit über den Luftraum an sich gezogen. Peter sitzt in Graz fest, Andrei versäumt Termine in Bukarest, die Kanzlerin kommt nicht von Lissabon weg, der Verteidigungsminister wird in Istanbul festgehalten. Das Ganze erinnert von fern an die Stop-Spiele, die Gurdjeff mit seinen Adepten durchführte – Bewußtwerdung der mechanisierten Existenz durch künstliche Erstarrung mitten in der Bewegung.
Man müßte den hippokratischen Eid durch einen Daidalos-Eid ergänzen, mit dem sich Architekten und Ingenieure verpflichten, nichts zu konstruieren, was Bewohnern, Benutzern und indirekt Betroffenen schaden könnte.
Um Zivilgesellschaften zu reanimieren, ist überall mit der De-Apathisierung der Bürger zu beginnen. Hierzu muß man die fünf primären Entmündigungszusammenhänge auflösen:
1)Kaufen
2)Lesen/schauen
3)Kranksein
4)Steuern zahlen/wählen
5)Glauben.
An diesen Fronten setzt unsere Reaktivierungsakademie an, die sich als Schule gegen Zeitgeist und Zeitspektakel versteht.
21. April, Hannover
Drei Tage nach der Hinrichtung von Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 zirkuliert erstmals eine futuristische Parole durch ein von da an resolut modernes Land. Im Moniteur universel heißt es: Alle guten Bürger müssen jetzt ihre Wünsche auf die Zukunft richten! (Lynn Hunt, The Family Romance of the French Revolution , 1992, S. 57) Die Orientierung an der Zukunft soll die königsmörderischen Bürger vor Schuld und Reue schützen. Das fait accompli zwingt alle Beteiligten in die
Weitere Kostenlose Bücher