Zeilen und Tage
sei Dank, von den anderen Häusern unterscheidet.
Das magische Denken hat in diesem Jahrhundert nicht an Boden verloren, im Gegenteil, es expandiert unaufhörlich, weil das Capriccio, zu dessen Überhöhung es dient, ständig zunimmt. Statt ihren Namen zu nennen, kleidet sich die Laune in die Hülle des hochmotivierten So-Sein-Müssens. Mit Händen und Füßen wehrt sich jeder Taschenspieler gegen die überfällige Säkularisation des Zufälligen.
Den Nachmittag nutzen wir zu Museumsbesuchen. Zuerst in der Armory auf der Park Avenue, der vormaligen Exerzierhalle eines in der Stadt stationierten Infanterie-Regiments, in der eine riesenhafte biomorph-uteromorphe Installation, ein hyperbolisches ockerfarbenes Zelt mit hängenden Gewürze-Säcken, zu bewundern war, eine Infantilisierungsübung im Großen, eingerichtet von einem Künstler, bei dem ich noch unschlüssig bin, ob ich mir seinen Namen merken möchte. Dann weiter zu der Jubiläumssaustellung des Guggenheim Museums – 1959-2009 – zu Ehren seines Erbauers Frank Lloyd Wright (1867-1959). Eindrucksvoll neben vielem anderen sind vor allem die späten urbanistischen Projekte für Bagdad und der überschwengliche Illinois Tower, Entwürfe, in denen man die utopischen Energien der Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachwirken sieht – eine autoritäre und erhabene Baukunst, durchdrungen von der Gewißheit, das Ziel der menschlichen Existenz zu kennen.
Nach Erfüllung der Hochkulturpflichten geht es die 12. Avenue hinab in die modernisierten Schlachthofdistrike, wo täglich neue Boutiquen, Restaurants und Galerien eröffnen. Abendessen bei einem interessanten Italiener in einer vormaligen Garage, The Barbuto. Der starke Abendwind zwang den Wirt dazu, die alten Garagentore halb hochzufahren, was eine merkwürdige Werkstatt-Bohème-Atmosphäre erzeugte. Wackwitz ist überzeugt, hier gebe es the best roasted chicken in town.
Später noch eine vage Stunde in einer abgedunkelten Polstermöbel-Bar mit lauter Retro-Musik, während auf dem Monitor ein Basketballspiel übertragen wird. Einiges junge und nicht ganz so junge Volk drängt sich in einer unbestimmten Erlebnisbereitschaft zusammen. Vor der Rückfahrt werfen wir einen Blick in ein kürzlich eröffnetes Superhotel – gleich neben den neuen Highway-Gärten von Diller und Scofidio gelegen –, dessen Rezeptionshalle mit ihrer kühlen Sechziger-Jahre-Ästhetik an die Lobby eines von Godard entworfenen Weltraumbordells erinnert.
Werde durch einen Artikel in Bookforum auf John Cheever aufmerksam, von dem, wie es heißt, einige der wichtigeren amerikanischen Realisten der letzten Generation, John Updike, Richard Ford u.a., herkommen. Finde gleich danach im Spring StreetBookshop einen Roman von ihm: Falconer , 1977, dazu einen Band mit seinen Short Stories.
Im selben Heft kommen mir ein paar Sätze zu einer Theorie des Romans von Richard Ford zu Gesicht, die aufschlußreich sind für den amerikanischen Pfad zur realistischen Erzählung. Fords Überlegungen kulminieren in der Forderung nach hinlänglicher Zufälligkeit der Figuren. Nur was ausreichend zufällig erscheint, wird als autonom wahrgenommen, indessen »befrachtete« Gestalten gegen die Bestimmung des Romans als Medium glaubwürdiger Individualität verstoßen. Dies überzeugt als technische Grundlegung einer skeptischen Ästhetik – Skepsis ist die Unwilligkeit, zu glauben, daß die Dinge von sich her viel bedeuten. Es ist zugleich eine anti-symbolistische Konfession, mit der ein Großteil der älteren europäischen Literatur in den Orkus geschickt wird, denn in ihr sind die Gestalten, und was ihnen widerfährt, kaum je zufällig genug, sie keuchen unter der Last der Bedeutungen, die ihre Autoren ihnen aufbinden.
21. Mai, New York
Der Besuch des New Museum an der Bowery, wo aktuell die Ausstellung Younger than Jesus zu sehen ist: »50 Künstler unter 33 Jahren aus 25 Ländern«, war genau die Enttäuschung, die angesichts von Titel und Konzept zu erwarten war, eine Kompilation von Werkhypothesen, die ins Massengrab einer billigen Sichtbarkeit geworfen werden. Nur einige Aktfotografien schienen mir beachtlich, doch habe ich den Verdacht, daß hier das stoffliche Interesse mit mir durchging. Die kuratorische Tendenz ist klar erkennbar: Die Leitunterscheidung heißt nicht mehr gut/schlecht, sondern frisch/unfrisch. Kunstmarkt und Fischmarkt konvergieren.
Erfahre in der Alitalia-Lobby des Kennedy Airports, wo man die
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