Zeilen und Tage
anderes als Ausführungen dieser Anweisung zur Politik als Hindernisvernichtung. Was die Weltverbesserung stört, hat Besseres als die Auslöschung nicht verdient. Nie wurden das Klügste und das Schlimmste enger zusammengedacht.
Auch zum Islam führt von Fichte her ein logisch schnurgerader Weg. Des Pudels Kern in Professor Lauths später islamophiler Wendung, da liegt er. Der Dschidah – ein Fichteanismus ohne Fichte – ist ein aus der Wüste geborenes Sichmühen auf den Wegen Gottes. Der Euro-Dschihad heißt einfach Militanz. Was bei Fichte fehlt, ist symptomatischerweise auch im islamischen Denken absent: Man kann sich zwar aufgrund des Sichergreifenlassens durch den Willen zum Guten an die Front werfen, aber weder Institutionen schaffen noch gemachte Erfahrungen verbindlich festhalten. Dieser Einwand führt auf das Terrain des »objektiven Geistes«, das Fichte typisch kavaliersmäßig abhandelt. Objektiver Geist besagt hier so viel wie: Institutionen und technische Medien entlasten das Ich von den Überspannungen des subjektiven Mediumismus. Du mußt nicht ständig den Außendienstvertreter Gottes spielen, wenn du verstanden hast, daß die Apparate den größten Teil der nötigen Arbeit tragen. Diesen schwachen Punkt Fichtes hat Arnold Gehlen aufgedeckt und mit seiner Institutionenlehre zu beheben versucht.
22.-24. Juni, Tübingen
Heidegger statuiert in seinem Kunstwerk-Aufsatz aus der Mitte der dreißiger Jahre so pompös wie ominös: »Das Kunstwerk stellt eine Welt auf.« Er illustriert die These am »Beispiel« des griechischen Tempels, durch dessen Emporragen die umgebende Mitwelt erst wahrhaft zur Welt versammelt werde.
Bemerkenswert ist, daß Plato den Parthenon-Tempel, der wenige Jahre vor seiner Geburt fertiggestellt worden war, beargwöhnt, wenn nicht verabscheut haben soll. Aus Platos Sicht stellte nicht der Tempel die Welt auf, sondern die athenische Großmannssucht errichtete den Tempel. Nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg gab es für die Athener keine Welt mehr, die rings um einen Tempel hätte aufgestellt sein können. Aus dem Krieg waren auch die heimischen Götter geschlagen hervorgegangen, und Athene, die Jungfräuliche, mochte zwar weiter in der Cella ihres Tempels stehen, wie Phidias sie hingestellt hatte, doch war sie zu einer weltlosen Göttin geworden, die nur noch die religiöse Laufkundschaft anlockte. Weil es sich nach dem Sturz Athens so und nicht anders verhielt, konnte der Philosoph kommen und eine Hinterwelt aufstellen.
Tübingen tut nichts, um zu gefallen, die Stadt ist in Regenlethargie versunken, Eidechsen sitzen erstarrt an den Wänden, die Studenten bewegen sich mit gesenktem Kopf unter Kapuzen und kaputten Schirmen durch die Straßen, wie von einer überfordernden Vorlesung kommend, um vier Uhr nachmittags fahren die Autos schon mit Licht. Untröstlich geht Hölderlin in seinem Turmzimmer auf und ab.
Professor Carsten Niemitz aus Berlin, der am Forum Scientiarum im Beisein von zwanzig ausgewählten Doktoranden aus ganz Europa mit mir einen dreitägigen Meisterkurs über »Anthropologie im Streit der Fakultäten« gestaltet, stellt der menschlichen Gattung eine schlechte Prognose, aus zwei bekannten Gründen: wegen ihrer Neigung zu demographischem Overkill sowie aufgrund ihrer suizidalen Umweltschädlichkeit. Daneben auch aus einem weniger bekannten Grund: Nach Niemitz, der als Verfasser des maßgeblichen Buchs über den aufrechten Gang als Spezialist für biologische Statik gilt, weist homo sapiens ein gravierendes Fehldesign auf – Lebewesen mit senkrechten Wirbelsäulen sind als Sackgassen-Evolution anzusehen.
Trug am Abend in der Aula der Universität die Unseld Lecture 2 dieses Jahres in zweistündiger freier Rede vor, konfrontiert mit einem sehr aufmerksamen Publikums, in dem alle Fakultäten von der Biologie über die Paläontologie bis zur Theologie und denJuristen vertreten waren, nur nicht die philosophische. Während des Vortrags schaute ich hin und wieder zu Hölderlin in seinem Turm hinüber. Er stand am Fenster und blinzelte mir zu, als ob er sagen wollte, weiter so, und ich durfte mich an den Glauben klammern, ich spräche für das höchste Publikum der Erde.
Von Carsten Niemitz erfahren wir, schon Affen besitzen die Fähigkeit zu verzeihen. Wie die Menschen sind sie als Generalisten zu bezeichnen – indes in homo sapiens die evolutionäre Drift zum entspezialisierten Allzweckaffen kulminiert. Diese Definitionen scheinen mir völlig
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