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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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immer gleich verhassten Argument vorzubeugen, war er versucht {101 } hinzuzufügen: »Und ich verspreche auch, diesmal nicht mit ihr zu schlafen.«
    Aber das Argument kam nicht. Stattdessen ließ Ruth die Schultern sinken, und auf einmal änderte sich ihr Verhalten. Sie resignierte, gab einfach den Kampf auf und machte sich stumm auf den Weg zu ihrem Sohn.
    Lou griff nach der Fernbedienung und richtete sie wie einen Revolver auf den Fernseher. Wütend drückte er auf den Abzug und stellte das Gerät aus. Die schwitzenden Frauen in ihren Elasthansachen schrumpften zu einem Lichtkreis im Zentrum des Bildschirms, ehe sie ganz verschwanden.
    Gedankenverloren zog er den Apfelkuchen zu sich heran und begann, darin herumzustochern. Wie war es bloß zu diesem Streit gekommen? Von der ersten Sekunde an, als er das Haus betreten hatte … Und es würde genauso enden wie an so vielen anderen Abenden: Wenn er ins Bett kam, würde sie bereits schlafen oder zumindest so tun. Ein paar Stunden später würde er aufwachen, ein bisschen trainieren, duschen und dann zur Arbeit gehen.
    Er seufzte, und als er sich selbst seufzen hörte, bemerkte er plötzlich, dass kein Heulen mehr aus dem Babyfon kam, sondern nur noch ein leises Knistern. Anscheinend hatte Pud aufgehört zu weinen. Lou streckte die Hand aus, um das Gerät abzustellen, aber in diesem Moment hörte er ein anderes Geräusch. Ohne lange nachzudenken, drehte er am Lautstärkeknopf. Als Ruths Schluchzen die Küche erfüllte, brach es ihm fast das Herz.

9 Der Truthahnjunge II
    »Dann haben Sie ihn also laufenlassen?«, unterbrach eine junge Stimme Raphies Grübelei.
    »Was meinst du?« Mit einem Ruck erwachte Raphie aus seiner Trance und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Teenager zu, der ihm gegenübersaß.
    »Ich hab gesagt, dann haben Sie ihn also laufenlassen?«
    »Wen?«
    »Den reichen Typen in dem flashigen Porsche. Er ist zu schnell gefahren, und Sie haben ihn laufenlassen?«
    »Nein, ich hab ihn nicht laufenlassen.«
    »Doch, haben Sie wohl. Sie haben ihm keine Punkte und keinen Strafzettel und auch sonst nichts verpasst. Das ist das Problem mit euch, ihr seid immer auf der Seite der Reichen. Wenn ich das gewesen wäre, hätten Sie mich lebenslänglich hinter Gitter gebracht. Ich hab bloß einen blöden Truthahn geschmissen und muss den ganzen Tag hier rumhocken. Und das an Weihnachten.«
    »Hör auf zu jammern, wir warten auf deine Mutter, das weißt du doch. Und ich könnte ihr keinen Vorwurf machen, wenn sie dich den ganzen Tag hier schmoren lässt.«
    Der Truthahnjunge schmollte eine Weile.
    »Du bist also neu in der Gegend. Ist deine Mutter erst vor kurzem mit dir hergezogen?«, fragte Raphie.
    Der Junge nickte.
    »Von wo denn?«
    »Von der Republik am Arsch.«
    »Sehr witzig«, meinte Raphie sarkastisch.
    »Warum sind Sie so schnell von dem Porsche-Kerl weg?«, fragte der Junge schließlich, weil die Neugier doch zu groß war. »Haben Sie Schiss gekriegt, oder was?«
    »Sei nicht blöd, Junge. Ich hab ihm natürlich eine Verwarnung gegeben«, erklärte Raphie und richtete sich in seinem Stuhl auf.
    »Aber das ist nicht legal, Sie hätten ihm einen Strafzettel verpassen müssen. Mit seinem Gerase kann er jemanden umbringen.«
    Raphies Augen wurden dunkel, und der Truthahnjunge begriff, dass er genug gestichelt hatte.
    »Willst du nun den Rest der Geschichte hören, oder was?«
    »Ja, will ich. Machen Sie weiter.« Der Junge beugte sich vor und stützte das Kinn in die Hände. »Ich hab ja sonst nichts zu tun den ganzen Tag«, fügte er mit einem frechen Grinsen hinzu.

10 Der Morgen danach
    Um 5 Uhr 59 erwachte Lou. Die vorangegangene Nacht war genauso verlaufen, wie er es vorausgesehen hatte: Als er ins Bett kam, lag Ruth mit dem Rücken zu ihm, hatte die Decke eng um sich geschlungen und war ungefähr so zugänglich wie ein Einsiedlerkrebs in seiner Muschel. Die Botschaft war unmissverständlich.
    Lou brachte es nicht fertig, sie zu trösten. Er schaffte es nicht, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, die sie im Bett und im Leben überhaupt trennte, und dafür zu sorgen, dass alles wieder gut wurde. In ihrer Studentenzeit, als sie kein Geld gehabt und in den scheußlichsten Bruchbuden gehaust hatten – wo die Heizung nur gelegentlich funktionierte und sie sich das Bad mit einem Dutzend Mitbewohner teilen mussten –, war das ganz anders gewesen. Sie hatten auf einem schmalen Bett in einem Kabuff geschlafen, das so klein war, dass man sich kaum umdrehen

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