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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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hatte, dürften längst vorbei gewesen sein. Dafydd konnte sich sogar daran erinnern, dass der alte Mann über sein fehlendes Sexualleben geklagt und ihm anvertraut hatte, dass er seit dem Tod seiner Frau keine »Vergnügungen« mehr gehabt habe. Allerdings musste Bear nicht unbedingt ein Ausbund an Treue gewesen sein, und auch er war einst jung. Dafydd zuckte unbehaglich zusammen. Von ihm hätte auch niemand vermutet, dass er »überall in der Gegend seinen Samen verstreute«.
    Josephs heisere Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück. »Können Sie sich vorstellen, was meine Frau und ich dabei empfunden haben? Ich habe mich jahrelang um ihn gekümmert … und er hat diesem Kind die Hälfte seines Geldes vermacht. Die Hälfte einem einzigen Kind. Die andere Hälfte wurde zwischen uns Übrigen und meiner Schwester und ihren beiden Kindern aufgeteilt.« Joseph unterstrich die einzelnen Punkte mit kleinen rhythmischen Faustschlägen auf den zwischen ihnen stehenden Schreibtisch. »Ich hatte ihm immer wieder gesagt, dass ich unseren Max auf die Universität schicken wollte. Er ist der Klügste von allen und wollte Anwalt werden. Dann hätte er den Kampf für unsere Rechte und unser Land weitergeführt. In ihn zu investieren hätte sich gelohnt. Das habe ich ihm oft gesagt. Aber nein, es ist herzlich wenig Geld rumgekommen. Ich hab die Hütte gekriegt, aber die war keinen Gänseschiss wert.«
    »Das tut mir leid«, versicherte Dafydd hilflos. »Es wundert mich, dass er mir nichts über diesen, über den …«
    »Ach, gehn Sie. Ich glaube nicht, dass Sie’s mir erzählen würden, wenn Sie’s wüssten«, meinte Joseph und erhob sich jäh. »Aber was bringt es denn auch, darüber zu reden? Ich dachte nur, dass ich Sie ins Bild setzen müsste. All diese romantischen Vorstellungen über den alten Mann … Sie waren nicht der Einzige, der glaubte, er sei ein wahrer Sohn der angestammten Erde. Das war einfach fürchterlicher Quatsch.«
    »Schade, dass Sie so über ihn denken.«
    »Ich glaube, dass er mir etwas schuldete und Max auch. Er kannte die Hoffnungen, die wir auf den Jungen gesetzt hatten. Cleverer ist keiner. Die Sache hat meine Gefühle für den alten Mann vergiftet, das kann ich Ihnen flüstern.«
    »Umso netter war es von Ihnen, dass Sie vor ein paar Tagen in der Bar zu mir gekommen sind und mich darüber informiert haben, dass er mir noch etwas hatte mitteilen wollen. Dafür war ich Ihnen wirklich sehr dankbar.«
    »Tja, ich hab immer getan, was er wollte, oder? Und sehen Sie, wohin mich das gebracht hat.«
    Nachdem Joseph den Raum verlassen und die Tür ein wenig zu schwungvoll geschlossen hatte, wartete Dafydd ein paar Sekunden und lachte dann in sich hinein. Der alte Schurke. Wer hätte gedacht, dass Bear sich herumtrieb und seine »Vergnügungen« mit Frauen in der Gegend hatte und Nachkommen zurückließ? Wenn das stimmte, war es sicher kein sonderlich lobenswerter Zug an dem alten Mann. Dafydd versuchte, sich den heruntergekommenen, alles andere als reinlichen Mann beim Verführungsakt vorzustellen, und der Gedanke daran brachte ihn erneut zum Lachen. Nun, dachte er, während er seine Notizen einsammelte, ewig blüht die Hoffnung.
    Dafydd fuhr zu Ian hinaus. Er hatte seine Besuche vom Morgen auf den Abend nach der Arbeit verlegt. Unterwegs hielt er am Co-op-Laden, um Ians Vorräte einzukaufen. Zweimal hatte er beobachtet, dass sich Sheila auf dem Ärzteparkplatz am Kofferraum des Autos zu schaffen machte, aber er hatte nichts dagegen unternommen. Ihm war klar, dass er Stellung beziehen musste, aber wie? Es wäre reiner Wahnsinn gewesen, sich der Gefahr einer Verhaftung und Ausweisung auszusetzen.
    Der Himmel war pechschwarz. Kein einziger Stern war zu sehen, und die Scheinwerfer des Wagens leuchteten nur schwach. In der Vorwoche hatte er eine Elchkuh, die mitten auf der Straße stand, angefahren, aber von diesem Zwischenfall und dem unerwarteten Auftauchen der Moschusochsen abgesehen waren die Wälder stets ruhig und trotz ihrer schneebedeckten Weiße dunkel, bar jedes erkennbaren Lebens. Die Schneemengen wuchsen und mit ihnen die Dunkelheit. Der Weg schien länger als sonst zu sein und Ians baufällige Bleibe weiter entfernt als je.
    »Du solltest dir überlegen, in die Stadt zu ziehen«, sagte Dafydd, nachdem er die Co-op-Tüten entladen hatte. »Und du könntest hier etwas Hilfe gebrauchen.« Seine Hand machte eine kreisende Bewegung.
    »Mir gefällt’s hier.«
    »Hör mal.« Dafydd setzte sich Ian

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