Zeit der Eisblueten
gegenüber an den Tisch und atmete tief durch. »Du hast weniger als zwei Wochen Zeit … Du musst dich am Riemen reißen. Vor allem glaube ich nicht, dass du noch länger hier wohnen kannst. Wenn du willst, helfe ich dir. Wir können dir eine Wohnung in Woodpark Manor mieten. Da ist was frei. Die Wohnungen sind hell und sauber, und im Keller gibt es einen Fitnessraum. Dort würde ich selbst hinziehen, wenn ich in Moose Creek leben wollte. Ich kann dir helfen, einen Lieferwagen für den Umzug zu mieten. Dann wärst du in der Nähe des Krankenhauses und …«
»Hör auf«, unterbrach ihn Ian ärgerlich. »Was glaubst du wohl, wer du bist? Ein dämlicher Samariter? Ich ziehe nirgendwohin um.«
»Schon gut, schon gut«, seufzte Dafydd. »Aber meine Vertretung endet am 7. Dezember. Wirst du dann imstande sein, deine Arbeit wieder aufzunehmen? Man redet davon, einen neuen Partner einzustellen, und zwar auf Dauer.«
»Prima«, sagte Ian schroff. »Ich denke daran, in den vorzeitigen Ruhestand zu treten.«
»Aber wovon willst du leben?«, protestierte Dafydd. »Deine Pension wird nicht gerade hoch sein, und ich glaube nicht, dass Sheila dir irgendwelche Ersparnisse übrig gelassen hat.«
Thorn gefiel der Ton der Unterhaltung nicht, und er begann zu winseln. Er kam zu Dafydd, lehnte sich an dessen Oberschenkel und drückte beharrlich dagegen.
Ian saß zusammengesackt auf dem Küchenstuhl. Er sah furchtbar aus. »Warum nimmst du den Job nicht?«, fragte er. »Dir scheint er doch ganz gut zu gefallen.«
»Sei nicht albern. Ich muss nach Wales zurück, sonst verliere ich meine Stelle. Außerdem muss ich versuchen, eine Ehe zu führen und zu retten, obwohl ich glaube, dass es schon zu spät ist. Ich kann doch nicht ewig hierbleiben, nicht wahr?« Dafydd schob den Müll auf dem Tisch beiseite. »Benutze mich nicht als Grund, nicht wieder zu arbeiten. Du kannst deine Sucht überwinden, aber dafür brauchst du eine Therapie. Verdammte Scheiße, du bist erst fünfundvierzig Jahre alt …«
»Vierundvierzig.«
»Ich werde dir helfen und etwas für dich arrangieren, in Vancouver oder Toronto – irgendwo, wo eine diskrete Behandlung möglich ist. Das Geld dafür leihe ich dir. Ich könnte versuchen, noch ein Weilchen zu bleiben … Schließlich kostet es bloß einen Anruf. Aber ich würde es nur tun, damit du die Krise überwindest. Dann kannst du wieder auf die Beine kommen und triumphierend zurückkehren. Lass Sheilas Einkünfte schrumpfen und sag ihr, sie soll dir den Buckel runterrutschen. Richte diese Hütte wieder her. Mach Urlaub …«
Dafydd verstummte schlagartig, als er merkte, dass Ians Schultern bebten. Thorn sprang hoch und versuchte, seinem Herrn das Gesicht abzulecken. Ian weinte lautlos, aber sein Körper bäumte sich auf und zitterte, während er versuchte, seine Gefühle zu unterdrücken, die mit lautem Schreien aus ihm hervorzubrechen drohten.
Erschrocken über Ians Schmerz, suchte Dafydd nach Worten. Aber Ian war kein Mensch, der sich durch banale Aufmunterungen trösten ließ, und körperlicher Kontakt schien ihm unangenehm zu sein. Trotzdem streckte Dafydd die Hand aus und legte sie seinem Freund auf die Schulter. Allmählich verebbte das Zittern. Ian griff nach einem gebrauchten Papiertaschentuch und schnäuzte sich, den Kopf noch immer auf die eingefallene Brust gedrückt.
»Weißt du, was ich heute Morgen gefunden habe?«, fragte er mit bebender Stimme und lachte leise. »Deine alten Stiefel und Skier. Ich hab sie aus dem Schuppen geholt, damit du einen Ausflug machen kannst.«
»Das ist nett, danke. Aber Ian, hast du verstanden, was ich gerade eben gesagt habe?«, beharrte Dafydd ärgerlich. »Du darfst den Kopf nicht in den Sand stecken. Du musst dich entscheiden. Und ich kann nicht mehr länger für Sheila den Drogenkurier spielen. Ihr beide scheint das Risiko ja gern einzugehen, aber ich bin dazu nicht in der Lage. Das wäre eine Katastrophe, die ich nicht auch noch verkraften könnte.«
Ian schüttelte den Kopf, als wolle er die unerfreulichen Vorwürfe abschütteln. Er stand auf und goss beiden einen Drink ein. Dafydd hätte am liebsten NEIN gebrüllt und den Inhalt der Gläser in den verdreckten, rostigen Ausguss geschüttet. Aber das tat er nicht. Er fühlte sich erschöpft, müde, hoffnungslos. Ians Gefühlsausbruch hatte seine eigene, allem Anschein nach unlösbare Situation deutlich werden lassen. Wer war er denn, anderen Ratschläge zu erteilen?
Sie saßen schweigend eine Weile lang
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