Zeit der Eisblueten
sich Gummihandschuhe über. »Und was ist dabei?«, fragte er gereizt. »Er ist euer Hausarzt. Es wundert mich, dass du es ihm nicht selbst gesagt hast. Übrigens, wer hat eigentlich dir und Mark das Blut für den Test abgenommen?«
Sheila schaute zur Seite, und ihre zusammengepressten Kiefer verrieten ihre Anspannung. »Welche Rolle spielt das denn?«, fauchte sie. »Es war einer der hiesigen Ärzte, und er hat keine Fragen gestellt.«
»Also ein Er«, sagte Dafydd und schloss damit Dr. Atilan, die Gynäkologin, aus, ebenso Nadja Kristoff, eine junge Ärztin für Allgemeinmedizin, die gerade ihre Ausbildung beendet hatte. Es spielte tatsächlich keine Rolle, aber er hatte genug von all den Machenschaften und der Heimlichtuerei, und es gefiel ihm, wenn sie sich wand.
»Gott, du bist unerträglich«, sagte Sheila. »Wenn es dir so viel bedeutet: Es war Ian. Aber lass den armen Kerl in Frieden, ja? Er ist sterbenskrank und kann deine Kreuzverhöre jetzt nicht vertragen.«
Dafydd hätte am liebsten geantwortet: Und ganz bestimmt kann er deine Art Hilfe dabei nicht vertragen. Aber er hielt den Mund, weil er Ian nicht bloßstellen wollte. Stattdessen fragte er: »Sterbenskrank? Wie kommst du darauf, dass es so schlecht um ihn steht?«
»Seine Leber ist im Eimer, falls du das nicht bemerkt haben solltest.«
Dafydd dachte: Durch seinen Tod werden deine satten Einnahmen im Eimer sein, du Schlampe. Aber er schluckte seinen Zorn hinunter und versuchte, die Feindschaft zu drosseln, die er ihr gegenüber empfand, seit er den Hauptgrund für Ians physischen, geistigen und finanziellen Niedergang erfahren hatte. Er war beunruhigt über einige der Fantasien, die er Sheila gegenüber hegte, besonders wegen der Anschuldigungen, die sie gegen ihn erhoben hatte. Er wollte ihr wehtun. Das verstörte ihn, zumal er sich nicht daran erinnern konnte, dass er jemals den Wunsch verspürt hatte, einen anderen Menschen zu verletzen. Manchmal fragte er sich, ob ein krankhaftes sexuelles Motiv hinter seinen Fantasien steckte. Aber nein, es war nichts als Zorn, Widerwille und Empörung. Sie war böse, und er hasste das, was sie verkörperte.
Die Atmosphäre während der Operation war nicht angenehm. Dafydd hatte Hogg gebeten, dafür zu sorgen, dass sein Dienst möglichst nie mit dem von Sheila zusammenfiel, doch der hatte geantwortet, es sei ihre Aufgabe, die Dienstpläne zu erstellen. Und obwohl es ihnen zuwider war, einander zu begegnen, wollte sie ihn offenbar unbedingt ständig im Auge behalten.
Wäre Sheila nicht gewesen, hätte er seine Arbeit rückhaltlos genossen – echte Patienten mit echten Problemen. Es gab ständig neue Herausforderungen, und er war sich seiner hart erarbeiteten Reife und Erfahrung bewusst, wenn er sich an die Befürchtungen erinnerte, die er vierzehn Jahre zuvor gehabt hatte. Im Grunde war er den Anforderungen damals nicht gewachsen gewesen. Er verglich die Tätigkeit hier mit seiner Arbeit in Cardiff und dem ständigen Zustrom neuer technologischer Hilfsmittel, deren korrekten, mühelosen Einsatz die Ärzte immer wieder erlernen mussten. Hier sah es anders aus. Die Ausrüstung war veraltet, und man arbeitete, indem man den Patienten betrachtete – die Farbe seiner Haut, seine Atmung, den Puls –, statt den Blick auf Monitore und Videoschirme zu richten, dadurch den Behandlungsprozess zu mechanisieren und Menschen in Organe und Systeme zu verwandeln, die entfernt oder repariert werden mussten. Er entdeckte etwas Neues an sich selbst: seine Freude an der praktischen, personenorientierten Grundlagenmedizin, die oft riskant, manchmal furchterregend, aber gelegentlich sehr hilfreich war. Das war etwas, das er mit nach Hause nehmen würde: eine weitere Fähigkeit.
Sein letzter Patient an diesem Tag war Joseph, Bears Enkel. Der war verblüfft, im Sprechzimmer auf Dafydd zu treffen.
»Sie hätte ich als Letzten erwartet – ich dachte, Sie machen hier Urlaub«, sagte er, als er Dafydd hinter dem Schreibtisch sitzen sah. »Normalerweise habe ich mit dem Mann von der Armee zu tun, Lezzard. Er kennt meinen Zustand.«
»Ich habe nur ein kleines Pensum übernommen, als Vertretung …« Dafydd las die Krankenakte des Mannes und erfuhr, dass die Diabetes von Joseph erst im Erwachsenenalter aufgetreten war. »Hat Dr. Lezzard mit Ihnen über den Nutzen gesprochen, den es bringen würde, wenn Sie ein wenig Gewicht verlören?«, fragte Dafydd, und das Bild von Bruce Lezzards großem und wuchtigem Körper tauchte vor ihm
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