Zeit der Eisblueten
unsicher sein. Ihm kam der Gedanke, dass es keinen weiteren Sommer mehr geben würde.
»Komm her«, rief er Isabel zu. »Lass uns ein Teil der Elemente sein.«
Isabel folgte ihm und schaute ängstlich zum Glasdach hoch. Sie wickelte eine alte Steppdecke um sich und drückte sich in eine Ecke des Sofas, ziemlich weit weg von ihm. Ihre große Gestalt wirkte zusammengestutzt, und sie hatte etwas von dem kleinen Fettpolster an den Hüften verloren, das sie schon immer hatte loswerden wollen. Ihr Gesicht war blass, ihre hervorstehenden Wangenknochen warfen tiefe Schatten auf die Wangen, und ihr dickes, schulterlanges Haar war kürzlich geschnitten worden, aus einer Laune heraus ziemlich plump zu einem Bubikopf abgesäbelt, der ihr nicht sonderlich gut stand. Sie war nie hübsch gewesen, zu keinem Zeitpunkt bezaubernd, aber sie verfügte über eine außergewöhnliche erotische Ausstrahlung, eine Anmut und Gelassenheit, die andere dazu brachte, sich nach ihr umzudrehen. Er erinnerte sich daran, welche Ehrfurcht sie ihm anfangs eingeflößt hatte.
Als er sie betrachtete, spürte er, wie seine Frustration wuchs. Der Zeitpunkt dieser Sendschreiben aus Kanada lag überaus unglücklich. Er hatte auf den richtigen Augenblick gewartet, es ihr zu erzählen. Aber wie konnte er sie jetzt damit überfallen?
»Weißt du was, Dafydd, du solltest sie bitten, sich einem DNA-Test zu unterziehen. Ich glaube, dass sie nicht damit aufhören werden, wenn du nicht klar Stellung beziehst. Diese Geschichte könnte sich in die Länge ziehen …«
Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. »Du hast recht.« Ihre Hand war kalt und sah bläulich aus. Er küsste sie sanft. »Lass es uns zu Ende bringen. Ich werde Sheila Hailey anrufen und sie auffordern, sofort einen Gentest zu machen und keinerlei Verbindung mehr zu mir aufzunehmen, bis alles abgeschlossen ist. Ich bin sicher, dass wir dann nichts mehr von ihnen hören werden.«
»Mir tun die Kinder leid«, seufzte Isabel und legte den Kopf auf seine Schulter. »Du wärest solch ein wunderbarer Vater.« Er konnte den Kummer in ihrer Stimme hören. Sie hob die Hand und strich mit den Fingern durch sein Haar. »Vielleicht hört es sich verrückt an, aber in gewisser Weise wäre es nicht nur negativ gewesen. Eine Teilzeit-Elternschaft mit Besuch der Kinder während der Sommerferien. Ich glaube, ich hätte damit klarkommen können. Vielleicht wäre das die beste Sache gewesen, die uns hätte passieren können. Zumindest wären es deine Kinder gewesen.«
Dafydd atmete tief durch und schloss die Augen. »Oh, das meinst du doch bestimmt nicht so.«
»Sagt man nicht, dass kinderlose Paare, die Kinder adoptieren, plötzlich, wenn der Druck weg ist, feststellen, dass sie schwang…«
»Das ist ein Märchen«, unterbrach er sie schroff. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, es ihr zu sagen? Ja, warum nicht.
»Isabel, es gibt da etwas, worüber wir sprechen müssen.«
Ein heftiger Windstoß rüttelte an den Glasscheiben, und beide sprangen gleichzeitig auf. Der Sturm riss an dem Gebäude und ließ die hölzernen Verbindungen quietschen und heulen wie ein schmerzerfülltes Kind. Der Schuppen am Ende des Gartens hüpfte scheppernd, als der Wind ihn plötzlich umschlang und wie einen Strandball über das Gras rollen ließ. Er verkeilte sich am Zaun.
»Mein Gott«, stieß Dafydd hervor. »Lass uns die Luken sichern und die Türen verriegeln.«
»Ich werde dich festbinden«, flüsterte Isabel ihm ins Ohr. Sie ergriff seine Hand und zog ihn vom Fenster weg zur Treppe. »Es gibt kein besseres Mittel gegen sinkende Geburtenraten als einen Hurrikan.«
Der Wind wurde stärker, als er mühsam durch den tiefen Schnee stapfte und einem kleinen Fuchs folgte. Es war trockener Pulverschnee, der laut unter seinen Füßen knirschte. Über ihm ragten hohe Bäume empor, Fichten und Tannen. Mit jedem Schritt sanken seine Füße tiefer ein, und der Wind blies ihm die eisigen Flocken in die Augen. Er konnte nicht sehen, wohin er ging, und merkte, dass er die Spuren des Fuchses verloren hatte. Das Tier war vorangefitzt. Er rief hinter ihm her, weil er wusste, dass der Fuchs versuchte, ihn irgendwohin zu führen. An irgendeinen wichtigen Ort.
Plötzlich spürte er einen unerträglichen Schmerz an einem Bein. Er warf den Kopf zurück und schrie. Das Echo hallte zwischen den Bäumen wider. Wölfe antworteten ihm heulend aus der Ferne. Er wand und drehte sich heftig, um sich zu befreien. Dann sah er, dass
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