Zeit der Eisblueten
die Fänge einer Schlagfalle sein Bein umklammerten. Die schwarzen Stahlzähne hatten seinen Knöchel durchbohrt. Blut pulsierte aus der Wunde und färbte den weißen Schnee scharlachrot.
Die Wölfe waren herbeigeeilt und bildeten unter den Bäumen einen Kreis um ihn. Die Nacht war schwarz, und er konnte die Wölfe kaum erkennen, aber ihre gelben Augen leuchteten, während sie ihn lautlos beobachteten. Er zog sein Bein an den Mund und begann, an seinem Fleisch zu nagen, um sich zu befreien. Dabei schrie er.
Isabel strich ihm über die Stirn. »Wach auf«, rief sie und tätschelte seine Wangen. »Ich glaube, du brütest gerade eine Krankheit aus. Du bist schweißgebadet. Ich stehe auf und mache dir eine Tasse Tee.«
»Nein, bleib liegen, mir geht’s gut. Es war bloß ein Traum.«
Es war vier Uhr morgens. Der Wind peitschte noch immer über den Dachgiebel direkt über ihren Köpfen. Der Traum hatte den Geruch der Angst in seiner Nase zurückgelassen. Er hatte einen tiefen Einblick bekommen, was es hieß, gejagt zu werden und gefangen zu sein. Zitternd spähte er zum Wecker. Dann erinnerte er sich an ihren Plan. Er berechnete den Zeitunterschied. Zögernd erhob er sich aus dem Bett.
»Möchtest du mithören, oder soll ich nach unten gehen?«
Als Isabel ihn irritiert ansah, zeigte er auf das Telefon. Sie schüttelte energisch den Kopf. Er zog sich seinen Trainingsanzug und ein Paar dicke Socken an. »Ich komm gleich wieder«, sagte er lächelnd.
Er trug das Telefon ins Wohnzimmer und entfaltete Mirandas Brief. Der Anblick brachte ihn immer noch aus der Fassung. Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der plötzlichen Turbulenz, die der Brief in seinem Leben ausgelöst hatte, weil mühsam verdrängte Dinge wieder hochgespült worden waren. Er fand die Telefonnummer und wählte die Ziffern.
»Hallo.«
Er erkannte die Stimme sofort, sogar nach all den Jahren.
»Hier ist Dafydd Woodruff«, begann er förmlich. »Wir müssen uns unterhalten.« Ärgerlicherweise zitterte seine Stimme leicht, und sein Mund war knochentrocken geworden.
»Keinen Moment zu früh, Dafydd«, erwiderte Sheila Hailey mit einem amüsierten Unterton. »Also hast du meinen Brief erhalten?«
»Warum tust du das?«
»Ich tue das, wie du es ausdrückst, weil mich Miranda seit zwei Jahre bedrängt und mich fragt, wer ihr Dad ist. Und irgendwann fand ich es nicht fair, sie weiter im Dunkeln tappen zu lassen. Mark ist es egal, aber er sollte es ebenfalls wissen.«
Lang verdrängte Gefühle stiegen wie die Flamme eines Lötbrenners in ihm hoch. »Was für ein idiotisches Spiel versuchst du hier abzuziehen?« Er bremste sich. Es war nicht gut, das Gespräch in diesem Ton zu beginnen.
»Du kannst herumtoben, so viel du willst, Dafydd«, sagte Sheila kühl, »es ändert überhaupt nichts. Du bist der Vater meiner Zwillinge, und du solltest dich besser daran gewöhnen. Nimm dir Zeit. Unterdessen könntest du anfangen, ein wenig Unterhalt für sie zu zahlen. Schließlich habe ich dich fast dreizehn Jahre lang verschont.«
»Ich habe dich nie angerührt«, schrie Dafydd. Dann erinnerte er sich an das, was er getan hatte, und zuckte zusammen.
»Oh, Dafydd, tu nicht so. Ich weiß, dass du betrunken warst, aber du kannst es unmöglich vergessen haben.« Sie klang ruhig und vernünftig. »Erst hast du mich unter Drogen gesetzt, um mich ins Bett zu kriegen, und als ich dann schwanger war und dich bat, es zumindest abzutreiben, hast du mir das nicht nur verweigert, sondern mich sogar noch angegriffen. Du kannst froh sein, dass ich nicht zur Polizei gegangen bin. Hinter deinem schmierigen britischen Snobismus bist du wirklich nichts als ein Verbrecher.«
»Wie bitte? Die Abtreibung … natürlich, die habe ich verweigert … das hatte nichts mit mir zu tun. Wovon, zum Teufel, redest du – ich soll dich unter Drogen gesetzt haben, um dich ins Bett zu kriegen? Nichts davon ist geschehen.« Dafydd hielt ungläubig inne. »Du beschuldigst mich der Vergewaltigung?«
»Was war es denn deiner Meinung nach? Ein freundschaftlicher Fick? Schwer zu beweisen, weil es bei dir passiert ist, und ich konnte auf den Ärger gern verzichten. Du weißt ja, wie die Gerüchteküche von Moose Creek beschaffen ist.« Sie lachte. »Die wären begeistert, stimmt’s? Stell dir das mal vor.«
Ein klares Bild von Sheila tauchte vor ihm auf. Ihr anstößiges rotes Haar, die spöttischen blauen Augen. Er zwang sich, seine Empörung hinunterzuschlucken, und bemühte sich, gefasst zu
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