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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Hose?«
    »Gütiger Himmel, Mann«, rief Dafydd, als er die infizierte Stelle freigelegt hatte. »Wie können Sie damit leben?«
    Eine halbe Stunde später, als die Wunde gereinigt und verbunden war und Dafydd ihm intravenös eine hohe Dosis von einem Antibiotikum gespritzt hatte, wirkte Bear blass und schwach. Dafydd half ihm ins Bett und zog eine stinkende Decke um ihn.
    »Ich geh in kein dämliches Krankenhaus, wenn es das ist, was Sie damit sagen wollen. Mein Enkel wird sich um mich kümmern. Er schaut vorbei.«
    »Sie brauchen weitere Injektionen, und wir sollten ein paar Untersuchungen machen«, versuchte Dafydd ihn umzustimmen. »Sie müssen reinkommen, und wenn es nur für ein paar Tage ist.«
    »Nein, Sie kriegen mich nicht von hier weg.« Er schien einzuschlafen, und Dafydd ging hinaus, um die ausgeblichenen Lumpen an der Wäscheleine zu inspizieren. Dort hing ein zweibeiniges Kleidungsstück, das möglicherweise einmal eine lange Unterhose gewesen war. Als er damit in die Hütte zurückkehrte, sprangen die Hunde auf und entblößten drohend die Zähne. Ihr Herr war verletzbar, und Dafydd hatte keinen Zweifel, dass sie ihn töten konnten.
    »Aus«, befahl der alte Mann vom Bett her, und die Hunde legten sich wieder hin, ohne ihre blassen, misstrauischen Augen von dem Eindringling abzuwenden.
    »Hier ist ein Paar sonst was.« Dafydd reichte ihm das Kleidungsstück und schüttelte ein paar Kissen hinter seinem Rücken auf. »Ich bringe Ihnen was anderes zum Anziehen mit, wenn ich wiederkomme, um nach Ihnen zu sehen.«
    Sie saßen schweigend da, während Bear laut den restlichen Kaffee aus seinem Becher schlürfte.
    »Warum sind Sie hier?«, fragte er plötzlich.
    »Um Sie zu untersuchen und dafür zu sorgen, dass es Ihnen besser geht.«
    »Nein … Ich meine hier, hier an diesem Ort, an den niemand kommen will, außer denen, die einen Grund dafür haben, so wie ich.«
    »Ich … bin vor etwas davongelaufen«, antwortete Dafydd, sofort bestürzt über sein Geständnis.
    »Das hab ich mir gedacht.« Bear zog einen schwarzen Krümel aus seinem linken Nasenloch und schnippte ihn auf den Boden. »Vor was genau?«
    »Ein kleiner Junge … Er heißt Derek Rose. Ich hab seine Operation versaut, und ich muss für den Rest meines Lebens damit klarkommen. Darum bin ich hier – um es hinter mir zu lassen.«
    Die Hunde standen auf und wuselten herum, plötzlich weniger misstrauisch.
    »Jeder macht Fehler.«
    »Nicht dort, wo ich herkomme.«
    »Ihr seid wohl die Herren des ganzen verfixten Universums.«
    »Nein, aber man hofft, dass man über solche Fehler erhaben ist. Wenn nicht, sollte man die Finger davon lassen.«
    »In Wolkenkuckucksheim, sicher. Im wirklichen Leben passiert so was ständig.« Er reckte sich vor und tätschelte Dafydds Hand. »Sie werden sich selbst vergeben. Es geht darum, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Und das Pferd wieder zu besteigen, das einen abgeworfen hat.«
    »Meinen Sie?«
    »Das weiß ich.« Er dachte ein Weilchen nach, dann lächelte er. »Man erntet, was man sät, wie es heißt. Und genau das tun Sie jetzt, stimmt’s? Ihre Buße, eine Wiedergutmachung, selbst wenn es in einem Kaff wie diesem ist.«
    Dafydd nickte. Es gab viel zu tun, viel wiederherzustellen. Jeder Tag seines Arbeitslebens konnte der Wiedergutmachung gewidmet sein. Bear reichte ihm seinen Becher und gab ihm ein Zeichen, das Gefäß aus einer unetikettierten Flasche vollzuschenken.
    »Ist Sleeping Bear Ihr richtiger Name?«
    »Blödsinn, nein«, gluckste Bear. »Mein richtiger Name ist … oder war … Arwyn Jenkins.«
    »Jenkins?« Nach einem kurzen irritierten Schweigen sagte Dafydd: »Ist einer Ihrer Vorfahren etwa Waliser oder etwas Ähnliches gewesen?«
    Bear lachte so sehr, dass sich die obere Hälfte seines Gebisses vom Gaumen löste und heftig wackelte. »Mein lieber Junge, Sie unterschätzen mein Alter gewaltig.« Er gluckste und kicherte weiter, während er versuchte, sein Gebiss wieder auf den Gaumen zu drücken. »Als ich geboren wurde, hatte der weiße Mann noch nie einen Fuß in diesen Teil der Welt gesetzt. Ich war nämlich der erste Europäer, der nach Moose Creek kam. Damals gab es hier nur drei Hütten.«
    »Europäer?«, wiederholte Dafydd verblüfft.
    »Richtig. Ich bin in Wales geboren worden und dort auch aufgewachsen.«
    »Sie meinen doch nicht …Aber Ihr Gesicht … und …«
    »Die meisten Leute wissen das nicht von mir, außer den alten Knaben, und es gibt keinen Grund, sie an meine Herkunft

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