Zeit der Eisblueten
Stationsdienst. Es ist mir egal, wenn wir es nur mit einer Sedierung machen. Das kostet dich dann bloß eine Stunde deiner Zeit.«
»Um Himmels willen, Sheila, das kommt gar nicht in Frage. Du brauchst eine anständige Narkose, und es ist …« Es gab so viele Einwände, aber ihm fiel kein einziger ein, den sie nicht sofort abwürgen würde. Also änderte er das Thema. »Wie steht denn dein Freund zu der Sache?«
»Ich hab ihm nichts davon erzählt. Er macht nämlich nichts ohne Verhütung. Du würdest ihn nie ohne seine Kondome erwischen.«
Wollte sie ihm damit sagen, dass das Baby möglicherweise nicht von ihrem Freund war?
»Kondome können reißen«, meinte er wenig überzeugend, denn er wusste, dass so etwas nur selten vorkam.
Sheila überlegte ein paar Sekunden. »Ja, das können sie«, sagte sie schließlich.
»Hast du über die Möglichkeit nachgedacht, das Baby zu bekommen? Ich meine, du bist – was, zweiunddreißig?«
»Nein, ich habe nicht darüber nachgedacht.«
Sie lehnte sich zurück und sah durch ihn hindurch. Dafydd wusste, dass er nichts sagen oder vorschlagen konnte, was sie entscheidend beeinflussen würde, und wenn sie ihm nicht vertraute, konnte er ihr ohnehin nichts anbieten. Sie schien irgendwelche Gedanken in ihrem Kopf zu wälzen; vielleicht prüfte sie die Idee, tatsächlich Mutter zu werden.
Plötzlich richtete sie ihre stechenden blauen Augen auf ihn, beugte sich vor und sagte: »Nein, ich will wirklich einen Abbruch. Bitte tu das für mich.« Sie rutschte unruhig hin und her und schüttelte den Kopf, als wolle sie sich von dem Gedanken an eine Mutterschaft befreien. »Ich will das einfach heute Abend hinter mich bringen. Kannst du das nicht verstehen? Jetzt, wo ich weiß, was es ist, will ich nicht, dass es die ganze Zeit über mir schwebt. Ich fühle mich absolut unwohl damit. Mehr noch, ich halt’s nicht aus. Los, Dafydd, bitte«, flehte sie. »Eine Valiumspritze, ein wenig Saugen, ein kurzes Schaben, und schon bist du mich los.«
Dafydd ordnete seine Gedanken. Er musste es ablehnen, aber er wollte sie nicht enttäuschen. Sie beugte sich noch immer zu ihm vor. Ihre merklich volleren, milchweißen Brüste quollen aus dem Ausschnitt ihres schwarzen Pullovers. Bevor er etwas sagen konnte, lachte sie, streckte den Arm aus und klopfte mit dem Zeigefinger auf seinen Schreibtisch.
»An einem Ort wie diesem muss man einander ab und zu einen Gefallen tun. Du schuldest mir was, nicht wahr? Schließlich habe ich dir auch einen Gefallen getan. Und ich würde es wieder tun … Oder wenn dir das lieber ist, bezahle ich dich.«
Dafydd fuhr zusammen. »Sheila, geh nicht so mit dir um. Du solltest mich besser kennen. Ich möchte dir helfen, glaub mir. Was ist so schlimm daran, wenn du noch ein paar Tage damit wartest?«
Plötzlich begann sie zu weinen. Das verblüffte Dafydd. Es waren echte Tränen. Echter Kummer bewegte ihn immer, und sie litt offenbar stärker, als er bemerkt hatte. Er eilte zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir so leid«, beteuerte er.
Sie blickte zu ihm hoch. »Dann mach’s verdammt noch mal.«
»Es tut mir leid«, wiederholte er.
»Es tut dir leid? Ist das alles? Du jämmerlicher Scheißengländer«, fauchte sie zwischen ihren Tränen hindurch. »Du bist ein nutzloser Idiot, weißt du das?«
Dafydds Hand lag noch immer auf ihrer Schulter. »Reg dich ab, Sheila«, sagte er streng. »Du bist durcheinander, das ist verständlich. Es ist ein Schock, aber keine Katastrophe. Du solltest das wissen. Möglicherweise spielen deine Hormone verrückt. Beruhige dich bitte, und wir werden uns etwas überlegen.«
Sie schob seine Hand weg und sprang vom Stuhl auf. »Glaubst du, das kann ich nicht selbst? Ich habe dich um einen simplen Gefallen gebeten. Aber nein, du bist viel zu egoistisch und vornehm, um jemandem aus der Klemme zu helfen. Was tust du hier überhaupt? Du versteckst dich nur, weil du es nicht erträgst, deiner eigenen Unfähigkeit ins Gesicht zu blicken. Ich hätte dich nicht an mich heranlassen sollen. Wenn du einem Kind die falsche Niere rausnimmst, dann würdest du womöglich auch einen Fötus nicht erkennen, den du vor der Nase hättest.«
Sie stieß ein vernichtendes Gelächter aus und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust. Er packte ihr Handgelenk mit zu festem Griff. Später konnte er sich nicht mehr genau daran erinnern, wie es geschah. Jedenfalls stürzte sie sich wie eine Wildkatze auf ihn, und er ohrfeigte sie
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