Zeit der Finsternis
Melissa?
, fragte ich mich gerade, als sich eine blonde Frau über mich beugte und mich fast ein bisschen mitleidig ansah.
"Hallo Tamara. Ich werde dir nun ein paar Milliliter Blut abnehmen, dann ist alles überstanden." Ihre Worte wählte sie mit Bedacht, das konnte ich in ihrem Unterton hören. Ich beobachtete sie, während sie eine kleine Spritze in meine Kanüle steckte und sie langsam aufzog. Sie sah aus wie eine Frau um die fünfzig. Ihre wasserblauen Augen wurden von feinen Fältchen umrandet, genau wie ihre Lippen. Sie war ein Mensch und diese Tatsache ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen. Welche Rolle spielte sie in Damians Marionettentheater? War sie vielleicht...eine Hexe? Gab es neben den Vampiren noch andere übernatürliche Wesen auf dieser Erde?
"Wo-Wofür wird mein Blut denn gebraucht?", fragte ich sie stockend. Das alles machte mich mehr als stutzig. Damian hatte davon gesprochen, dass ich sein Blut trinken sollte, um seine Feinde aufspüren zu können. Doch irgendetwas war schief gelaufen und ich konnte spüren, dass mir niemand sagen würde, was da vor sich ging.
Melissa ignorierte meine Frage und als die Spritze mit meinem Blut gefüllt war, sah ich, wie sie zu einem Tisch ging und das Blut in einen Kelch entleerte. Danach nahm sie ein Fläschchen und kippte den Inhalt dazu. Nachdem sie ihn kurz geschwenkt hatte, um alles miteinander zu vermischen, reichte sie Damian den Kelch. Er nickte ihr zu, nahm ihn an sich und trank das Blutgemisch. Als er den Becher geleert hatte, schloss er die Augen und atmete tief ein. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht.
Genau in diesem Moment überkam mich das Gefühl, als würde sich eine eiskalte Hand um mein Herz legen und es nicht wieder loslassen. In meinem Kopf begann es zu surren, wie in einem Bienenstock.
Als der Lärm in meinem Schädel langsam verstummte, trat Damian wieder an meine Seite. Er löste die Fesseln von meinen Füßen und Händen und half mir, mich aufzusetzen.
Es kam mir vor, als würde ich plötzlich alles um mich herum völlig anders wahrnehmen. Ich hörte jedes noch so winzige Geräusch und sah Dinge, die meinen Augen sogar nach meiner Verwandlung in einen Vampir verborgen geblieben waren. Jedes noch so kleine Staubkörnchen fiel mir ins Auge. Fasziniert musste ich zugeben, dass mich das zutiefst beeindruckte. Ich stieg von der Pritsche und kam kurz in Schwanken, so erschlagen wurde ich von den vielen Eindrücken.
Verwundert sah ich an mir herunter und blickte Damian fragend an: "Was ist mit mir passiert?"
Damian schien sich nicht ganz wohl bei meiner Frage zu fühlen. Er blickte hektisch zu Melissa und dann wieder zu mir. "Nun ja, es scheint...als hätte mein Blut einen...besonderen Effekt auf dich gehabt.", begann er zögernd, "Es hat dich...verändert."
Ich war mir nicht sicher, ob ich Damian folgen konnte, doch als ich aufblickte und mich in einem Spiegel sah, der am anderen Ende des Raumes hing, wurde mir langsam klar, dass tatsächlich irgendetwas mit mir geschehen war.
Im Bruchteil einer Millisekunde stand ich direkt vor dem Spiegel und konnte kaum fassen, was ich da sah.
"Meine Augen...?! Was ist mit meinen Augen?!", stammelte ich und betastete mein Gesicht. Ich blickte in ein Augenpaar mit violetter Iris - das waren nicht meine Augen!
"Na ja...anscheinend hat das mit deinem neuen Blut zu tun.", antwortete Melissa zögernd. "So ganz genau wissen wir das auch noch nicht."
Im nächsten Moment wurde ich von einer unglaublich starken Emotion überrollt.
Es begann mit einem roten Flackern vor meinem inneren Auge und mit einem Mal füllte mich dieses Gefühl komplett aus. Ich war nicht mehr fähig, es zu unterdrücken. Ich stürzte auf Damian zu, packte ihn an der Kehle und presste seinen Körper mit einer Wucht, von der ich selbst erstaunt war, gegen die Wand. Ein metallener Wagen auf kleinen Rädern kippte scheppernd um und ich hörte das Splittern von Glas. Der Putz an der Wand hinter Damian bekam Risse und begann zu bröckeln, als ich ihn mit aller Kraft dagegen warf. Weißer Staub rieselte auf den Boden. Damians Beine zappelten in der Luft, während sich seine Augen vor Furcht weiteten.
"Du...!", zischte ich ihn durch mein zusammengepresstes Kiefer an, als ein stechender Schmerz durch meinen gesamten Körper fuhr und mich fast lähmte. Instinktiv öffnete meine Hand die eiserne Umklammerung um Damians Kehle. Ich hörte ihn erleichtert aufatmen, dann fiel ich auf die Knie. Der Schmerz war kaum auszuhalten und ich
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