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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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blickte auf. »Wieso? Du denn?«
    »Und ob«, sagte Lucy.

    Elis Körper war lang und sehnig und muskulös, seine Berührung so zart wie die Versprechen, die er ihr ins Ohr raunte. Shelby ließ sich von ihm durch den Augenblick hindurchführen, unsicher, ob sie überhaupt noch wusste, wie es ging, doch als ihre Gliedmaßen ineinander verschlungen waren, hatte sie längst vergessen, je Zweifel gehabt zu haben.
    Er küsste ihre Fußknöchel, glitt über Waden und Knie und Oberschenkel nach oben, bis sie es kaum noch erwarten konnte, dass er ganz zu ihr kam. Als er es tat, als sich sein Mund auf sie senkte, reckte sie sich ihm entgegen und schloss die Augen, sah Landschaften aus Gold, leuchtende Smaragde, Schauer von Rubinen. Sie brannten heißer, kleiner, wurden zu Quasaren und Novas und füllten ein Universum. Eli bewegte sich, als hätte er alle Zeit der Welt. Dann, gerade als sie sich nicht länger zurückhalten konnte, war er plötzlich über ihr, zwang sie, ihn anzusehen, damit sie genau erkannte, welche Richtung ihr Leben nahm. »Wo warst du so lange?«, murmelte Eli und füllte sie aus.
    Ihre Körper wiegten sich um einen Fixpunkt, ihr Rhythmus erzählte eine Geschichte. Und in dem Augenblick, als sie beide losließen, vergaß Shelby jedes Wort, das sie je gelernt hatte, bis auf eines: Wir .
    Als Eli in ihren Armen eingeschlafen war, schob Shelby sich unter ihm hervor und schmiegte sich an ihn. Sie versuchte, sich die Muster seiner Sommersprossen und die Linie seines Scheitels einzuprägen. Sie roch ihren eigenen Duft auf seiner Haut.
    Etwas drückte unangenehm gegen ihren Oberschenkel, und sie rutschte ein Stück zur Seite, suchte eine bequemere Position. Aber was immer es war, es bewegte sich mit ihr, und als Shelby die Hand zwischen Eli und sich schob, ertastete sie einen kleinen, scharfkantigen Gegenstand. Sie hielt ihn in den rosafarbenen Streifen Tageslicht, der schräg auf die Bettdecke fiel, und runzelte die Stirn. Diese ungewöhnliche Fassung, die Kombination von Steinen, kam ihr sehr bekannt vor.
    »Hallo.« Eli griff nach ihr.
    »Hallo«, sagte Shelby, den Mund auf seinen Lippen, und vergaß alles andere. Sie ließ den Diamantring fallen, den Ross vor vielen Jahren Aimee geschenkt hatte und der vor Monaten bei ihr zu Hause verschwunden war.

    Es war das Schönste, das Ethan je gesehen hatte – die zarten Rosatöne und sanften Orangefarben, die Morgenröte, die die Sterne erblassen ließ, die Linie, an der die Nacht zum Tag wurde. Ethan hätte sich gewünscht, dass die Dämmerung noch einmal anbrach, jetzt sofort, obwohl das bedeutet hätte, dass er noch einen Tag älter und seinem Tod näher wäre.
    Lucy hatte noch geschlafen, als Ethan auf den Sims gekrochen war. Er saß im Schneidersitz, die Arme vor sich ausgestreckt, und mit jedem Grad, den die Sonne am Himmel höher stieg, entstand eine weitere Blase auf seiner Haut.
    Aber, Gott, das war es wert. Die Ankunft des Morgens zu erleben, ohne eine Glasscheibe vor den Augen. Den Sonnenaufgang zu spüren, anstatt ihn bloß zu sehen.
    Sein linker Arm war jetzt krebsrot und juckte wie verrückt. Hinter ihm kam Lucy gähnend auf den Felsen. Dann sah sie seine Arme. »Ethan!«
    »Ist nicht so schlimm.« Aber es war schlimm. Das war unübersehbar. Plötzlich fiel sein Blick auf etwas Glitzerndes auf dem Grund des Steinbruchs. Vielleicht ein silberner Knopf – oder eine Schnalle. Es war eine Baseballmütze, und als Ethan sich über den Rand des Granitsimses beugte, konnte er den Schriftzug darauf erkennen. »Das ist ja komisch«, sagte er. Doch ehe er Lucy die Mütze zeigen konnte, die vermutlich seinem Onkel gehörte, explodierte sie vor seinen Augen.

    Wie an jedem Morgen, wenn im Angel-Steinbruch gesprengt wurde, lösten die Computer die ersten Explosionen aus und ließen dann dem Gestein etwas Zeit, wieder zur Ruhe zu kommen, bevor die nächste Ladung zur Detonation gebracht wurde. Gewaltige Brocken flogen durch die Luft, und feine Partikel stiegen in einer Pilzwolke auf. Gesteinsstaub bedeckte das Dach von Ross’ Wagen. Kurz nach der ersten Sprengung krachte die zweite los. Ein spitzer Stein durchschlug die Windschutzscheibe. »Oh Gott«, schrie Meredith, und während der Wagen noch rollte, stieß sie die Beifahrertür auf, sprang nach draußen und rannte auf den Steinbruch zu, in dem vielleicht ihre Tochter war.
    Große Granitplatten kippten wie Dominosteine, stürzten Steinpfeiler von ihren Podesten und wirbelten eine so dichte Wolke aus silbrigem

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