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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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das Gefühl hatte, in einem Marmeladenglas zu sitzen. Spencer Pike schob die Hand unter sein Kissen und entdeckte drei himmelblaue Rotkehlcheneier.
    Obwohl er wusste, dass es für ihn nicht gut war, riskierte Ethan immer wieder einen heimlichen Blick auf die Sonne.
    Katzen entwischten von zu Hause und spazierten zum Fluss, um dort zu baden. Der Wasserpegel des Lake Champlain hob und senkte sich zweimal täglich, als gäbe es dort Ebbe und Flut.
    Und trotz des milden Augustklimas gefror der Boden des umstrittenen Grundstücks am Otter Creek Pass, sodass die Ausschachtungsarbeiten eingestellt werden mussten.

    »Was haltet ihr davon?«, fragte Winks Smiling Fox und schob die Trommel ächzend ein Stück nach links. Wo sie gesessen hatten, war die Erde vereist. Ein wenig weiter wuchs der Löwenzahn.
    »Erinnert ihr euch noch an die alten Geschichten von Azeban?«, fragte Winks.
    »Azeban?«, echote Fat Charlie. »Der Waschbär?«
    »Genau.« Winks nickte. »Wie er aus Spaß für irgendjemanden eine Falle gebaut hat und dann selbst hineingeraten ist? Oder wie er das Feuer austrampeln wollte, neben dem der Fuchs schlief, und sich dabei den Schwanz verbrannte?«
    »Ein kleines Feuerchen wäre hier auch nicht schlecht, ehrlich gesagt …«
    »Nein, Charlie«, sagte Az, der unbemerkt näher gekommen war. »Winks meint, wenn man anderen Böses tut, widerfährt einem selbst auch Böses.«
    Er sah zu, wie seine Freunde sich wieder hinsetzten und nach den Trommelstöcken griffen. Abgesehen von dem Gesang in ihrer schon fast vergessenen Stammessprache verriet nichts, dass diese Männer Abenaki waren. Ihre Ahnen hatten Weiße geheiratet, in der Hoffnung, sich hinter weißen Familiennamen und europäischen Gesichtszügen verstecken zu können. Winks hatte blondes Haar. Fat Charlies Haut war so blass wie die eines Iren.
    »Meinst du, es steckt vielleicht noch mehr dahinter?«, fragte Winks. »Ich meine, da passieren wirklich seltsame Dinge.«
    »In der Stadt sagen sie, wenn die Indianer Redhook nicht von dem Land vertreiben, dann erledigen die Geister das«, fügte Charlie hinzu.
    »Wenn mein Grab von einem Bulldozer umgepflügt würde, wäre ich auch ziemlich sauer.« Winks schnaubte. »Habt ihr den Archäologen gesehen? Immer wenn er meint, keiner hört ihn, flüstert er ein Vaterunser. Die haben ordentlich Schiss.«
    »Mir ist letztes Jahr der Geist von meinem Urgroßonkel bei einer Schwitzzeremonie erschienen«, sagte Fat Charlie. »Du hast doch auch schon welche gesehen, Az?«
    »Es gibt einen Unterschied zwischen einem Geist, der weitergezogen ist, und einem, der nicht wegkann«, sagte Az. Er hob ein Messer auf und begann, einen Ast anzuspitzen. »Wo ich herkomme, gab es mal eine junge Frau, die nicht den Mann heiraten durfte, den sie liebte, weil ihre Eltern dagegen waren. Deshalb erhängte sie sich an einer Buche oben auf dem Berg. Am Tag nach ihrer Beerdigung ging ihr Freund zu demselben Baum und erhängte sich ebenfalls. Und wenn ein Indianer durch Erhängen stirbt, kann sein Geist nicht auffahren – er bleibt im Körper gefangen.« Er prüfte die Speerspitze mit dem Daumen. »Nach ihrem Tod tauchten nachts immer wieder zwei blaue Lichter über dem Berg auf.«
    Winks beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Ist mal jemand nachsehen gegangen?«
    Der Alte führte das Messer erneut an dem Ast entlang. Er spürte Rod van Vleet hinter sich, der so tat, als würde er nicht zuhören. »So dumm«, sagt Az, »war keiner.«

    »Ethan?«
    Ethan erstarrte unter dem Verdunkelungsrollo, als er die Stimme seiner Mutter hörte. Er schnellte von der warmen Fensterscheibe zurück und schob die Sonnenbrille in den Spalt zwischen Bett und Wand. »Hi«, sagte er, als sie in sein Zimmer trat.
    Ihr scharfer Blick registrierte die zerknitterte Tagesdecke, die Mütze auf Ethans Kopf, die geschlossenen Vorhänge. Sie kam auf ihn zu, musterte ihn und zog dann den Ärmel seines Sweatshirts tiefer, weil ein Zentimeter Haut am Handgelenk noch frei war. »Ich muss zur Arbeit«, sagte seine Mutter. »Du solltest längst schlafen.«
    »Ich bin nicht müde«, maulte Ethan. Aber ihm kam der Gedanke, dass seine Mutter erschöpft sein musste. Schließlich blieb sie die ganze Nacht mit ihm auf und arbeitete dann halbtags in der Bücherei. »Mom«, erkundigte er sich, »bist du müde?«
    »Ständig«, antwortete sie und gab ihm dann einen Abschiedskuss.
    Er wartete, bis er ihre Schritte auf dem Fliesenboden in der Küche hörte. Ethan tastete

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