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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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unzulänglichen Nachkommen« in zweiter Instanz bewilligt wurde
     
     
     
    Es war einmal, als meine Mutter so alt war wie ich jetzt, dass sie sich verliebte. Nicht in einen von den schmalgesichtigen, jungen Männern, die meinen imposanten Großvater mit Sir anredeten. Nicht in Harry Beaumont, einen jungen Professor, der die besten Aussichten hatte, den Preis zu gewinnen, nämlich die Hand meiner Mutter, und der fast zehn Jahre älter als sie war und in einem Atemzug von Liebe und natürlicher Auslese sprach. Während Harry und die anderen jungen Männer auf der Veranda mit meiner Mutter flirteten, blickte sie an ihnen vorbei und beobachtete einen Zigeuner, der auf den Feldern ihres Vaters arbeitete.
    Seine Haut hatte die Farbe des schimmernden Klaviers, auf dem sie den Freundinnen ihrer Mutter zum Tee etwas vorspielte. Sein Haar war länger als ihres. Seine Augen waren so scharf wie die eines Habichts, und manchmal, wenn sie allein in ihrem Zimmer war und die Vorhänge geschlossen hatte, spürte sie, dass er sie trotzdem sehen konnte. Wenn sie den indianischen Arbeitern Wasser brachte – der einzige Kontakt mit ihnen, der ihr erlaubt war –, spürte sie ihn in ihren Adern.
    Siebzehn Jahre lang war sie eine vorbildliche Tochter gewesen. Doch jetzt kam ihr ihr Leben vor wie ein eleganter Mantel, der all die Jahre in einer Aussteuerkiste gelegen hatte und nicht mehr passen wollte.
    Eines Tages auf dem Feld war er der Letzte, der ihr seine Blechtasse reichte. Schweiß rann ihm über die nackte Brust, und er roch nach den Blaubeeren, die er gepflückt hatte. Seine Zähne blitzten weiß, als er sie fragte: »Wer sind Sie?«
    Sie hätte sagen können, Lily Robinson . Oder Quentin Robinsons Tochter . Oder die Zukünftige von Harry Beaumont . Aber danach hatte er nicht gefragt. Zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sie sich, warum sie sich stets als Teil eines anderen Menschen definierte.
    Er begann, kleine Geschenke für sie auf der Veranda zu verstecken: ein Paar winzige Mokassins, ein Weidenkorb, die Zeichnung eines galoppierenden Pferdes. Sie erfuhr, dass er John hieß.
    Vor ihrem ersten Rendezvous erzählte sie ihren Eltern, sie würde bei einer Freundin übernachten. Er erwartete sie an der Straße in die Stadt. Er nahm ihre Hand, als hätten sie das schon ewig so gemacht. Sie gingen zum Fluss, und der Sternenhimmel war ihr Baldachin. Als er sich über sie beugte, um sie zu küssen, fiel sein Haar über ihr Gesicht und schloss die Welt aus.
    Er war ein Jahr jünger als sie und ganz anders als die Zigeuner, von denen man ihr immer erzählt hatte. John war nicht schmutzig oder dumm oder verlogen. Und er verstand sie. Allmählich waren Lilys Tage nur noch die Wartezeit auf den Abend. Sie fing an, ihrem Vater Widerworte zu geben und ihre Mutter mit Verachtung zu strafen. Sie fing an, in satten Farben zu träumen. Und an dem Abend, als John in sie eindrang und ihr beibrachte, sich zu öffnen, da weinte Lily, weil jemand sie liebte und nicht nur die Person, die sie sein sollte.
    Als sie schwanger wurde, beging sie den Fehler, darin eine Chance zu sehen. Sie wartete aufgeregt vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters, während John, in Oberhemd und geliehener Krawatte, um ihre Hand anhielt.
    An das, was dann geschah, konnte Lily sich später nicht mehr erinnern, oder vielleicht ließ sie die Erinnerung auch nicht zu. Da war John, der bewusstlos und blutig geschlagen aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters geschleift wurde. Da war die Faust ihres Vaters, die über ihr bebte, als er ihr befahl, noch einmal die Hure zu geben, indem sie irgendeinen arglosen Dummkopf heiratete. Der förmliche Kuss, der ihre Verlobung mit Harry Beaumont besiegelte; der schreckliche Augenblick in der Kirche, als sie ihrem frischgebackenen Ehemann beinahe die Wahrheit gesagt hätte; einige Zeit später dann die Freude auf seinem Gesicht, als sie ihm stattdessen eröffnete, dass sie guter Hoffnung war.
    Sie versuchte, John zu finden, aber es war schwierig, jemanden aufzuspüren, der keinen festen Wohnsitz hatte. Sie hörte Gerüchte, dass er in einer Bar in Vergennes arbeitete, dass er ein Pferdedieb geworden war, dass er sich im Steinbruch verdingt hatte. Als sie erfuhr, dass die letzte Geschichte stimmte, war John Delacour schon nicht mehr dort beschäftigt. Er saß im Gefängnis und wartete auf seinen Prozess wegen Mordes an einem Aufseher.
    Sie schrieb ihm einen Brief, einen kleinen rechteckigen Zettel, den er zusammenfaltete und in einem Beutel um den Hals

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