Zeit der Heimkehr
Duar dabei hätte, warum nicht.«
Nun ergriff das Schwert wieder das Wort. »Wisset alle, daß ich das Eine Wahre Schwert bin.«
»Ja, das behauptest du.« Er schritt von dem Stuhl fort.
»Ganz schön eingebildetes Metallstück, wa? Was mich angeht, ich 'abe keine Verwendung für 'ne Waffe, die auch noch freche Widerworte gibt.« Er trat gegen den Stuhl, nicht kräftig genug, um sich den Fuß zu verstauchen oder den Stuhl zu beschädigen, aber doch hart genug, um etwas Befriedigung aus dieser Geste zu ziehen. »Ich 'abe schließlich meinen Langbogen und mein Kurzschwert. Wer braucht das Ding da schon?« JonTom blickte sehnsüchtig die verzauberte Klinge an. »Nun schau nich so niedergeschlagen, Kumpel. Du brauchst kein wahrer 'eld zu sein. Es genügt schon, wenn du 'n ganz gewöhnlicher Feld-Wald-und-Wiesen-'eld bist.«
»Ich weiß, Mudge. Es ist ja nur, daß ich glaubte...«
»Was 'aste geglaubt, Kumpel?« Mudge musterte ihn durchdringend. »Daß du was Besonderes wärst? Daß du aus irgend'nem tiefen, dunklen Grund in diese Welt gekommen bist, anstatt einfach nur durch 'nen Unfall? Es 'eißt ja, Reue wäre gut für die Seele. Da ich selbst keine 'abe, verste'e ich davon allerdings nich viel.«
»Was hast du nicht? Eine Seele oder Reue?«
»Ich für meinen Teil hätte nichts dagegen, das hier zu haben.« Weegee ließ sich auf den Stuhl plumpsen. Sie ignorierte das Schwert, das aus seiner Rückenlehne hervorragte, um statt dessen in den abgeschrägten Spiegel auf dem Frisiertisch zu schauen, und sie begann damit, sich Pelz und Barthaare zu putzen. »Es sähe wunderbar im Schlafzimmer aus und...« Sie brach ab, als plötzlich ein sanftes rosa Leuchten im Glas erschien.
»Ach, Scheiße«, sagte Mudge, »nich schon wieder!« ; Und tatsächlich begann diesmal der Spiegel zu reden, und zwar in einer etwas weniger schwülstigen Stimme als jene, die in dem Schwert lebte.
»Wisset alle, die ihr vor mir sitzt, daß ich der Eine Wahre Spiegel bin. Daß alle, die in meine Tiefe blicken, sich selbst sehen werden, wie sie tatsächlich sind, und nicht etwa als das, wofür sie sich halten mögen: ohne Vorurteile, ohne Schmeichelei, ohne Beschönigung.« Der Spiegel verstummte, doch das rosa Leuchten blieb.
»Wenn du das Ding im Schlafzimmer 'aben willst, Liebchen, solltest du lieber vor'er mal 'ineinschauen.«
»Bist du sicher, daß das ungefährlich ist? Nein«, sagte sie, ihre eigene Frage beantwortend, »natürlich bist du dir dessen nicht sicher. Aber das Schwert hat uns ja auch nichts getan. Also gut, warum nicht? Ist ja nur ein Spiegel.« Sie lehnte sich vor.
Das Gesicht, das ihren Blick erwiderte, war ihr eigenes, doch anstelle der Fetzen, die sie aufgrund ihrer Begegungen mit Piraten und Kannibalen und schwieriger Umstände in den vergangenen Tagen nur noch am Leib trug, war ihr Spiegelbild in einen wunderschönen, körperlangen Anzug gekleidet, der von Gold und Juwelen funkelte. Gesichtsausdruck und Körperhaltung des Spiegelbilds verbanden sich mit der Kleidung, um eine Atmosphäre der Würde und der Macht auszustrahlen.
»Ich sehe schön aus«, flüsterte sie voller Ehrfurcht. »Wirklich schön.«
»Wirklich 'n Wahrer Spiegel«, sagte Mudge und lächelte sie dabei an.
»Aber ich sehe aus wie eine Königin. Solche Kleidung besitze ich gar nicht.«
»Noch nicht«, murmelte Jon-Tom. Es war tatsächlich ein königliches Spiegelbild.
Sie hopste vom Stuhl und fiel Mudge in die Arme. »Was bedeutet das, was meinst du?«
Er flüsterte es ihr ins Ohr: »Daß du entweder 'ne Tonne Geld 'aben wirst oder daß wir es 'ier mit 'nem erstklassigen Scherzbold zu tun 'aben.«
»Laßt mich es mal versuchen.« Vorsicht quetschte sich auf den Stuhl. Die Otter und Jon-Tom gesellten sich zu ihm, um mit ihm zusammen in den Spiegel zu blicken. Rosa Diamanten tänzelten die abgeschrägte Kante entlang, doch das Bild im Spiegel veränderte sich nicht sichtbar. Überhaupt nicht.
Der Waschbär wartete noch einen Augenblick, bevor er wieder vom Stuhl aufstand. »Ich bin nicht enttäuscht, darauf könnt ihr wetten. Ich bin, was ihr seht. Könnte schlimmer sein.«
»Deinem wahren Selbst bleibe treu«, murmelte Jon-Tom leise.
»Du bist der nächste, Mudge.« Weegee schob ihn auf den Stuhl zu.
»Nun warte mal 'nen Augenblick, Liebchen. Denken wir die Sache doch mal zu Ende. Bin mir nich sicher, daß ich mich tatsächlich so se'en will, wie ich wirklich bin. Nach dem, was meine Freunde mir so erzählen, läßt das nämlich einiges
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