Zeit der Hingabe
ihr an dem Kerl besonders ekelerregend waren. Und sein hoher spitzer Schrei klang in ihren Ohren schöner als Signor Tebaldis berühmter Tenor. Mr Panelle ließ augenblicklich von ihr ab, stürzte zu Boden und krümmte sich wimmernd wie ein Säugling.
Wäre sie allein gewesen, hätte sie ihm noch einige Tritte mit den Absätzen ihrer Pumps versetzt. Stattdessen wandte sie sich dem Mann zu, der aus dem Schatten getreten war. Im Mondschein und im Licht aus dem erleuchteten Salon sah sie den Skorpion zum ersten Mal klar und deutlich.
Sie blickte dem hochgewachsenen schlanken Mann gefasst entgegen. Sein Gesicht war von Narben entstellt, die sich wie tiefe Furchen eingegraben hatten, daneben waren Schnitte wie von Schwerthieben zu sehen. Er war elegant in feinstes schwarzes Tuch gekleidet und stützte sich auf einen schwarzen Stock mit Goldknauf.
„Sehen Sie sich getrost satt an mir, Lady Miranda“, sagte er leise. „Das schulde ich Ihnen wenigstens, nachdem ich es versäumt habe, Sie vor den dreisten Zudringlichkeiten dieses Flegels zu beschützen. Wollen Sie sehen, wie ich mich bewege? Erst wenn Sie meinen Gang sehen, erhalten Sie ein vollständiges Bild meiner Monstrosität.“ Er drehte sich langsam im Kreis, schwer auf den Stock gestützt, und sie bemerkte, dass sein linkes Bein leicht gebeugt und der Fuß nach außen gedreht war, als sei ein Knochenbruch schlecht verheilt.
Sein langes dunkles Haar trug er im Nacken gebunden, offenbar hatte er nicht die Absicht, seine Entstellungen zu verbergen. Und als er sich ihr wieder zuwandte, sah sie nicht nur seine Narben. Ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen, leicht schräg gestellte Augen, die ihm ein exotisches Aussehen verliehen. Die Farbe seiner Augen konnte sie im Mondlicht nicht erkennen, sie wirkten nur ungewöhnlich hell. Seine ausgeprägte Nase beschrieb einen leichten aristokratischen Bogen. Seltsamerweise war sein Mund von den grässlichen Wunden, die ihm zugefügt worden waren, völlig verschont geblieben. Eine schmale, schön geschwungene Oberlippe und eine volle sinnliche Unterlippe. Wie mag es sich anfühlen, diesen Mund zu küssen, schoss es ihr schockierend durch den Sinn.
„Wie Sie sehen, bin ich ein durchaus erschreckender Anblick“, erklärte er in seinem sanften, schmeichelnden Tonfall. „Ich hielt es für angebracht, Sie gleich zu Anfang vor mir zu warnen. Zweifellos haben viele Leute Ihnen geraten, die Einladung abzulehnen, sich mit mir anzufreunden.“
„Nein“, entgegnete sie ruhig. „Niemand hat mit mir über Sie gesprochen.“
Er schien überrascht. „Du meine Güte … All die Mühe, Ihnen einen Schrecken einzujagen, soll vergeblich gewesen sein?“
„Da ich nur selten gesellschaftlichen Umgang pflege, hatte niemand Gelegenheit, mich vor Ihnen zu warnen“, erwiderte sie im Plauderton. „Würden allerdings meine Freunde und Verwandten wissen, dass ich die Bekanntschaft eines berüchtigten Schwerenöters gemacht habe, hätte man mir gewiss ein Treffen mit Ihnen untersagt. Aber meine Familie hält sich momentan nicht in der Stadt auf.“
Ein merkwürdiger Ausdruck flog über seine Gesichtszüge. „Welch glückliche Fügung für mich. Auf diese Weise können wir einander kennenlernen ohne wohlmeinende Ratschläge.“ Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, das seine Augen nicht erreichte. „Ich habe Vorbereitungen für ein kleines Dinner zu zweit in meinem Arbeitszimmer getroffen. Ich hoffe, Sie haben keine Einwände dagegen.“
„Aber Ihre Gäste?“
„Signor Tebaldi wird zweifellos seine Arien so lange schmettern, bis die meisten Gäste eingeschlafen oder betrunken sind. Und danach wird Mr Kean versuchen, sie mit seiner Dichterlesung wieder aufzuwecken. Kein Mensch wird Notiz von meiner Abwesenheit nehmen. Ehrlich gestanden, drücke ich mich häufig vor meinen eigenen Abendgesellschaften. Ein Wesenszug meiner schrulligen Exaltiertheit.“
„Ach ja, ich wäre auch gerne schrullig und exzentrisch“, sprudelte sie unbedacht heraus. „Bedauerlicherweise werden solche Marotten nur Männern zugestanden.“
„Wenn Sie gestatten, kann ich Ihnen ein paar wertvolle Tipps dazu geben, mein Kind. Speisen Sie mit mir, und wir vergessen diese langweilige Abendgesellschaft.“
Wer A sagt, muss auch B sagen, dachte Miranda beinahe belustigt und warf einen Blick auf Mr Panelle, der sich immer noch grimassierend und stöhnend auf den Steinfliesen krümmte. „Und was soll mit ihm geschehen?“
„Die Dienerschaft
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