Zeit der Hingabe
Wissen, dass sie sich danach gesehnt hatte, seinen Mund auf ihrem Handrücken zu spüren. Im nächsten Moment fiel der Wagenschlag zu, die Karosse fuhr an und entfernte sich auf dem holprigen Pflaster von dem riesigen dunklen Haus. Sie sank in die weichen Polster zurück und schloss die Augen.
Gütiger Himmel. Was war nur los mit ihr? Lag es lediglich an ihrer langen Einsamkeit, dass ein berüchtigter Unhold verdrängte Gefühle in ihr zu wecken vermochte? Allerdings sah sie in Rochdale kein Monster. Innerhalb weniger Minuten hatte sie seine Narben gar nicht mehr gesehen, nur sein einstmals schönes Gesicht, seine hellen, klugen Augen, seinen sanft geschwungenen Mund, von dem sie den Blick kaum zu wenden vermochte. Er hatte auch anmutige Hände, lange feingliedrige Finger. Hände, die sowohl große Kraft wie zartes Feingefühl vermuten ließen.
Nein, Lord Rochdale war weder Richard der Dritte noch Caliban. Er glich einem geheimnisvollen dunklen, verzauberten Prinzen, und sie …
Sie hatte den Verstand verloren. Miranda lachte laut auf. Sie hatte wohl zu viel von dem erlesenen Wein getrunken, hatte zu aufmerksam seiner melodischen Stimme gelauscht. Seine höfliche Zuvorkommenheit, seine Intelligenz, seine Bildung, sein feiner Humor, seine Ironie hatten ihr gefallen. Kurzum, Lucien de Malheur hatte sie fasziniert.
Dabei hatte sie nichts zu befürchten. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, sie könne sich in den Skorpion verlieben. Am allerwenigsten er selbst. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit sie in romantischen Tagträumen und Fantasien geschwelgt hatte. Nun schien sich ihr ein gefahrloses Objekt für ihre Träume zu bieten. Sie konnte davon träumen, als Retterin in seiner düsteren Finsternis zu erscheinen, ihm seine Bitterkeit zu nehmen. Sie konnte von einem glücklichen Ende träumen. Wenn schon nicht für sich selbst, so doch zumindest für ihn.
Lucien de Malheur schritt durch die Korridore seines Stadthauses, höchst zufrieden mit dem Ergebnis dieser Nacht. Das Vögelchen war ihm ins Netz gegangen. Und es war lächerlich einfach gewesen. Sie hatte den ausgelegten Köder bedenkenlos geschluckt. Das arme Ding war so vereinsamt, dass sie auf die Schmeicheleien des erstbesten Mannes hereinfiel, selbst eines missgebildeten Krüppels wie ihm.
Caliban. Er lachte in sich hinein. Zugegeben, sie war eine furchtlose Person, die sich über sein melodramatisches Gehabe lustig machte. Er hatte zunächst angenommen, wenn er den verbitterten, vom Unglück Gezeichneten spielte, würde er ihre Sympathie gewinnen. Stattdessen hatte sie sein Spiel lachend durchschaut, wofür er ihr neidlos Anerkennung zollte.
Das würde die Aufgabe umso interessanter gestalten. Miranda sah ihm direkt ins Gesicht, ohne Mitleid oder Angst zu empfinden. Gegen Mitternacht hatte er erste Regungen seiner Anziehung auf sie wahrgenommen. Als er sie gegen ein Uhr nachts in die Kutsche gesetzt hatte, war sie bereits in seinem Netz gefangen.
Er hatte erwartet, sich mit ihr zu langweilen, hatte sich vorgestellt, sie sei albern, rührselig und affektiert, und er müsse ihr kindisches Getue geduldig ertragen. Stattdessen war sie aufrichtig, direkt und herausfordernd.
Sie würde eine ausgezeichnete Ehefrau abgeben in der kurzen Zeitspanne, die er für eine Ehegemeinschaft mit ihr vorgesehen hatte.
Seine Gäste waren noch nicht gegangen. Er war berühmt für sein offenes Haus und seine Toleranz für sündige Ausschweifungen. Einige Paare hatten sich in verschwiegene Gemächer zurückgezogen, um ihrem lüsternen Treiben nachzugehen. Auf seinem Weg durch die langen Korridore drang gedämpftes Luststöhnen an sein Ohr, und er spürte, wie sich etwas in seinen Lenden regte. Miranda Rohan hatte eine Haut wie Milch und Honig. Bald würde er mit großem Vergnügen jedes Fleckchen ihrer zarten Haut erkunden.
Er begab sich umgehend in sein Arbeitszimmer, sein eigentliches Arbeitszimmer, in dem er seine Geschäfte abwickelte und nichts sonst. Wie nicht anders erwartet, saß ein Gast vor dem Feuer, die Beine gegen das Kamingitter gestützt, ein Glas Cognac in der Hand.
Jacob Donnelly kontrollierte den gesamten Schmuggel des erlesenen Branntweins aus Frankreich und belieferte Rochdale damit.
„Welchem Umstand verdanke ich deinen Besuch zu dieser späten Stunde?“, fragte Lucien gedehnt und schenkte sich selbst einen Schluck ein, da seiner Dienerschaft das Betreten dieses Raums untersagt war.
Jacob war ein ungewöhnlich gut aussehender Mann,
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