Zeit der Hingabe
Grunde genommen verliefen die Dinge reibungslos. Bisher war jeder Schritt seines Planes erfolgreich gewesen, wenn auch mit kleineren Widrigkeiten verbunden. Es war ihm gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen, er hatte sie entführt und schließlich verführt. Nun musste er sie nur noch heiraten und als Gefangene in diesem zugigen alten Haus halten, und ihre Familie wäre machtlos dagegen.
Missgelaunt stapfte er die dunklen Flure entlang. Er hatte eigentlich vorgehabt, nach London zurückzureisen, sah sich nun aber gezwungen, Miranda zu suchen, die sich irgendwo die Seele aus dem Leib weinte …
Vom Ende des Korridors erklang Musik. Jemand spielte Klavier, allerdings ziemlich schlecht, und Lucien verzog bei jedem falschen Ton das Gesicht. Wer immer das Instrument malträtierte, ließ sich durch die Misstöne nicht beirren. Lucien bog in einen Seitenflur ein und stieß die Tür zum Musikzimmer auf.
Seine Verlobte saß in einem roséfarbenen Vormittagskleid am Flügel, das brünette Haar zu einem lockeren Nackenknoten gebunden. Am Halsansatz prangte das Wundmal seines Bisses. Augenblicklich verspürte er ein verlangendes Ziehen in den Lenden.
Sie blickte ihm entgegen, keine Träne, keine dunklen Schatten unter den Augen. Sie strahlte ihn an. „Das war eine wunderbare Nacht, Liebling“, erklärte sie munter. „Wann tun wir es wieder?“
Er verharrte auf der Schwelle und sah sie an. Ihre rosig überhauchten Wangen, die leicht geschwollenen Lippen machten sie noch hübscher und begehrenswerter. Die Bisswunde an ihrem Hals erregte und verstörte ihn mehr als ihre freimütige Art. Er konnte kaum glauben, die Beherrschung völlig verloren zu haben, um sich zu so etwas hinreißen zu lassen. Triebhaftes, unüberlegtes Handeln war ihm fremd.
Und auch jetzt musste er gegen die Versuchung kämpfen, sie gegen den Flügel zu lehnen, ihr die Röcke hochzuschieben und über sie herzufallen. Aber er zwang sich zur Gelassenheit und lächelte kühl, um seinen inneren Aufruhr zu verbergen. Seine unbeherrschte Wollust würde sie nur erschrecken. „Freut mich zu hören, dass es dir Spaß gemacht hat. Aber ich fürchte, du musst dich gedulden, bis ich aus London zurückkehre.“
Sie zog einen Schmollmund, doch ihr Blick ließ keine innere Regung erkennen. „Muss das sein?“
„Leider ja. Ich will mich um die Vorbereitungen einer Festlichkeit kümmern.“
Sie zog die Brauen hoch. „Ein Fest? Hier?“
„Nein, noch nicht. Meine Freunde stören sich zwar nicht an Staub und verblichenem Glanz, im Gegenteil, so etwas würde ihr dekadentes Stilgefühl vermutlich anregen. Aber mir steht nicht der Sinn danach, den Gastgeber zu spielen. Ich treffe nur Vorbereitungen, damit unsere Feier stattfinden kann. Anlässlich unserer Hochzeit, meine Liebe.“
Miranda blinzelte verdutzt. „Die Trauung soll in einem Privathaus stattfinden? Hat das denn Gültigkeit? Und wen willst du dazu einladen? Juwelendiebe?“
„Unter anderen. Bei meinen Empfängen wirst du die unterschiedlichsten Menschen kennenlernen. Vom Herzog bis zum Anarchisten. Du wirst dich amüsieren, denke ich. Um die Formalitäten können wir uns später kümmern.“
„Wie aufregend“, sagte sie unverändert munter. „Und hast du schon ein Datum für die große Feier festgelegt?“
„Nächsten Freitag, meine Liebe. Bis dahin bin ich verreist. Währenddessen kannst du tun, was dir beliebt. Es ist dein Haus und steht dir zur freien Verfügung. Amüsiere dich in meiner Abwesenheit nach Herzenslust.“
Als sie sich erhob, entdeckte er ein weiteres blutunterlaufenes Mal an ihrem Hals, nicht von seinen Zähnen, sondern von seinem Kuss. Und er spielte mit dem Gedanken, seine Abreise um ein paar Stunden zu verschieben, um zu erkunden, ob er noch weitere Male an ihrem hellen makellosen Fleisch hinterlassen hatte.
„Ich werde dich vermissen, mein Schatz, aber ich werde mir Zerstreuung suchen.“
Süße Miranda, die ihren beißenden Sarkasmus hinter einem bezaubernden Lächeln verschleierte. Das ist beinahe noch erregender als die Liebesmale, dachte er sinnend. „Dessen bin ich mir sicher. Mein Verwalter Robert Johnson kümmert sich um alle Ausgaben, die du tätigst.“
„Ich habe einen sehr teuren Geschmack, Liebster“, gurrte sie.
„Das kann ich mir denken. Und ich habe sehr viel Geld.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Komm und gib deinem Liebsten einen Abschiedskuss.“
Sie schwebte anmutig auf ihn zu und lächelte strahlend zu ihm auf. „Soll ich dich küssen?“,
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