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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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auf der Stelle beilegen. Dann hatte sie Emma gut zugeredet und sie gedrängt, zu ihr zu kommen, weil sie dort ungestört miteinander reden konnten, ohne Mrs. Ellison zu wecken. Und Emma, die schutzlos war und sich leicht lenken ließ, folgte ihr über die Straße und in das Haus, die Tür schloss sich hinter ihr …
    Er fragte sich, ob Hensley an seinem eigenen verdunkelten Fenster gestanden und beobachtet hatte, wie Emma in ihrem Zimmer umherlief. Durch seinen Feldstecher hatte er ihr Gesicht deutlich erkennen können, während sie sich in seinem Blickfeld bewegte. Und dann war er müde geworden, hatte das Fernglas abgestellt und war wieder ins Bett gegangen, obwohl bei Emma noch Licht brannte. Ohne zu ahnen, dass Emma fünf oder vielleicht zehn Minuten später in den Tod gelockt werden würde.
    Wenn daran etwas Wahres war - und sei es auch nur ein Körnchen Wahrheit -, warum hatte dann Grace oder eine andere
Person einen Pfeil auf Hensley geschossen? Wozu an der Vergangenheit rühren, indem man den Leuten Emma und den Verdacht ins Gedächtnis zurückrief, dass sie in Frith’s Wood begraben war?
    Was war vorgefallen? Was hatte dazu geführt, dass Grace Letteridge sich gezwungen sah zu handeln?

25.
    Der Regen war vom ersten Tageslicht vertrieben worden, und der Wind hatte ein Aufklaren des Himmels und kältere Temperaturen angekündigt. Rutledge ging in die Küche hinunter und blies ins Feuer, um Wasser zu erhitzen, damit er sich rasieren konnte.
    Hamish sagte: »In den Schützengräben haben sich die Männer mit kaltem Wasser rasiert.«
    »Schließlich mussten unsere Gasmasken dicht abschließen. Ich bin nicht mehr in Frankreich.«
    »Du hast schon seit einer ganzen Weile nicht mehr an Westmorland gedacht.« Die Stimme in seinem Kopf war heute Morgen ziemlich schneidend und hatte es darauf abgesehen, ihn mit allen Mitteln zu schikanieren.
    Aber es stimmte, er hatte tatsächlich nicht mehr daran gedacht.
    »Wir sind eben alle Gefangene des Schicksals«, sagte er laut vor sich hin, als er den Kessel mitnahm und wieder die Treppe hinaufstieg.
    Er wusste selbst, dass er glücklicher wäre, wenn er eine gute Ehe führte und sich auf Kinder freuen konnte, die in ein paar Jahren kommen würden. Wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre und wenn er 1914 Jean geheiratet hätte, könnte sich bereits ein dreijähriges Kind an seine Hand klammern oder auf seinem Knie schlafen und ein weiteres würde im Frühjahr kommen. Das wäre ein ganz anderes Leben gewesen.

    Stattdessen war er nach Frankreich gegangen, hatte vier grässliche Jahre lang in den Schützengräben gekämpft und war dann nach Hause zurückgekehrt, mit Schäden, die ihm zugefügt worden waren. Er schauderte bei dem Gedanken, wie ein Kind auf Hamish reagiert hätte. Kinder besaßen ein ungeheuer gutes Gespür für die Feinheiten der Gefühle, von denen sie umgeben waren; sie durchschauten Ausflüchte und waren schnell bei der Hand, Winkelzüge zu entdecken. Erklären konnte er es nicht und es gehörte auch nicht zu den Dingen, die sich durch Erklärungen ausräumen ließen - wie sagt man einem Kind, dass sein Vater gehetzt ist? Dass ihn ein Spuk verfolgt?
    Es musste eine Möglichkeit geben - andere Männer hatten es geschafft.
    Aber das war eine Lüge. Und er begriff allmählich, dass er Elizabeth Fraser derzeit nichts zu bieten hatte - ganz gleich, was er für sie empfunden haben könnte, wenn er frei von Schuldgefühlen und frei von seiner Schützengrabenneurose gewesen wäre. Sie hatte recht gehabt, als sie ihm geschrieben hatte, er solle nicht nach Westmorland zurückkommen.
    Er stand da, blickte in den Spiegel, verfluchte den Krieg, verfluchte die Männer, die ihn begonnen hatten, und die Offiziere, die jede Schlacht ausgeheckt hatten.
    Als er sich rasierte, fiel Rutledge einer der Anklagepunkte wieder ein, die gegen die ranghöchsten Planer und Taktiker im Generalstabsquartier erhoben worden waren - sie hätten den Bezug zur Realität des Krieges auf dem Schlachtfeld verloren und ungeachtet der Gefahren einen Sturmangriff nach dem anderen auf die Maschinengewehre befohlen, als stünden sie einem unterlegenen Feind gegenüber, der beim bloßen Anblick der zahlenmäßigen Überlegenheit klein beigeben würde. Offiziere, die weit vom Gemetzel des Niemandslands entfernt waren und für die Kriegstote bedauerliche Zahlen auf einer morgendlichen Meldung waren, bekamen die blutigen Leichen nicht zu sehen, über die man bei einem ungeordneten Rückzug stieg.

    Was

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