Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
wichtigeren Unterlagen an einem weniger zugänglichen Ort als diesem Büro hier aufbewahrt.«
»Und hatten Sie Erfolg?«, fragte sie mit einer Stimme, der keine Gefühlsregung anzuhören war.
»Ich konnte mich nicht recht entscheiden, ob ich einen Berg Kohlen umschichten sollte, und in dem Moment haben Sie nach mir gerufen. Soweit ich sehen kann, ist das die einzige Aufgabe, die mir noch bevorsteht.«
»Wenn das so ist, werde ich Sie nicht aufhalten. Aber an Ihrer
Stelle würde ich mich vorsehen, mit diesen Schnitten und Kratzern an Ihren Händen in Kellern herumzuwühlen. Die Wunden sind noch offen und können sich leicht entzünden.«
»Daran hatte ich nicht gedacht. Ich hole nur schnell meinen Mantel und bringe Sie zum Gasthaus.«
»Unsinn. Ich bin durchaus in der Lage, diesen Weg allein zurückzulegen.«
Er blieb eine Viertelstunde im dunklen Wohnzimmer sitzen und wartete, bis er ganz sicher sein konnte, dass sie fort war. Erst dann stieg er mit seiner Taschenlampe wieder die Kellertreppe hinunter und sah in die Kammer.
Die Ledermappe enthielt Geld, weitaus weniger, als er erwartet hatte. Und bei den Papieren handelte es sich um eine seltsame Zusammenstellung. Darunter war ein Brief an die junge Frau, die einen Mann namens Sandridge gesucht hatte.
In dem Brief stand genau das, was Hensley ihm gesagt hatte - er bestritt, dass es in Dudlington jemanden dieses Namens gab, und wies die Frau darauf hin, dass sie sich eventuell im falschen Dudlington umsah.
Das einzig Interessante an dem Antwortschreiben war das offizielle Briefpapier, das ihm einen amtlichen Anstrich gab.
Die übrigen Papiere waren Protokolle von Vernehmungen in den Tagen, die direkt auf Emma Masons Verschwinden gefolgt waren.
Rutledge nahm sie in sein Schlafzimmer mit und las sie im Lauf des Abends durch.
Das erste Dokument war eine Aufzeichnung von Mrs. Ellisons verstörtem Auftritt eines Morgens. Sie hatte gemeldet, dass Ihre Enkelin mitten in der Nacht verschwunden war.
Die Notizen des Constable waren kurz und bündig.
»Sie war außer sich. Sie hatte Miss Mason zum Frühstück gerufen, und als keine Antwort kam, ging sie in das Zimmer ihrer Enkelin hinauf, um sie zu wecken. Das Mädchen war nicht da,
und es gab keinen Hinweis auf eine überstürzte Abreise. Es war auch kein Brief zurückgelassen worden. Daraufhin durchsuchte die Großmutter das übrige Haus und fand keine Spur von Miss Mason. Ich habe augenblicklich einen Suchtrupp auf die Beine gestellt und sämtliche verfügbaren Männer zusammengetrommelt. Mit jedem im Dorf gesprochen, Haus für Haus. Die Felder zwei Meilen weit in jede Richtung gründlich durchsucht, auch die Scheunen und Schuppen …«
Auf den nächsten fünf oder sechs Seiten waren Fragen an diverse Dorfbewohner festgehalten worden, Leute, die an jenem letzten Tag in irgendeiner Weise Kontakt mit Emma gehabt hatten. Darunter war auch Martha Simpson. Sie hatte an jenem Vormittag einen Wortwechsel zwischen Emma und Miss Letteridge gehört, und sie glaubte, es sei um London gegangen. Betsy Timmons, Hillarys ältere Schwester, hatte sich daran erinnert, dass am Nachmittag, als sie nach oben gegangen war, um mit dem Hausputz zu beginnen, Emma in ihrem Zimmer geweint hatte.
Hensley selbst merkte an: »Ich sah Miss Emma etwa um sechs Uhr, als sie aus der Bäckerei kam und einen Brief in der Hand hielt. Als ich sie angesprochen habe, hat sie mich nicht beachtet. Ich hatte den Eindruck, sie sei bedrückt.« Dann hatte er noch hinzugefügt: »An jenem Abend brannte in ihrem Zimmer bis spät in die Nacht Licht. Ich kann nicht sagen, wann sie die Lampe heruntergedreht hat.«
Es folgte das Protokoll eines Gesprächs mit dem Pfarrer. Er sagte nur, er hätte Emma Mason am Tag vor ihrem Verschwinden in der Kirche gesehen. Er hätte sie dort auf einer Kirchenbank sitzen sehen - nicht auf Mrs. Ellisons Bank, daran konnte er sich erinnern - und sie hätte den Eindruck gemacht, als weinte sie. Aber als er auf sie zugegangen war und sie gefragt hatte, ob sie unglücklich sei, hätte sie den Kopf geschüttelt und ihm gesagt, sie betete für ihre Großmutter. Er hatte nicht recht gewusst, was er davon halten sollte, aber da eindeutig zu erkennen
war, dass sie sich ihm nicht anvertrauen wollte, hatte er sie in Ruhe gelassen.
Es folgte ein Gespräch mit Mrs. Lawrence. Sie hatte Emma aus der Kirche kommen sehen, doch Emma hatte sich von ihr abgewandt und war stattdessen auf die Felder zugelaufen. Mrs. Lawrence hielt für
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