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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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dem Wäldchen?«
    »In einem der Keller«, antwortete Rutledge, bevor er sich auf den Rückweg zu seinem Wagen machte.
    Cain folgte ihm. »Dann schon eher unter dem Boden eines Viehstalls. Wenn man den Gestank dort bedenkt, würde ein vermodernder Leichnam kaum auffallen.«
     
    Rutledge war in Gedanken nicht nur bei der Straße, als er nach Dudlington zurückfuhr.
    Als er am Oaks abbog, sah er Mrs. Channing in der Auffahrt stehen und zum Himmel aufblicken.
    Keating, der neben ihr stand, wies sie auf einen Gänseschwarm hin, der über ihnen vorüberflog. Sie schien von seinen Worten ganz und gar in Anspruch genommen zu sein und Keating erweckte den Eindruck, als machte es ihm Spaß, über die Vögel zu reden.
    Sie hatte den Dreh raus, dachte Rutledge, in den Augen aller Menschen alles zu verkörpern, was sie sich wünschten. Er fragte sich, ob sie sich auch nur im Geringsten für Vögel interessierte, doch auf ihrem Gesicht drückte sich nichts anderes als Interesse aus, als hätte sie ihr ganzes Leben damit verbracht, die Gewohnheiten von Wildvögeln zu studieren. Sein letzter Blick
auf sie, als er die Holly Street hinunterfuhr, zeigte den burgunderroten Mantel, den der Wind um ihre Knöchel wehte, und eine Hand, die mühsam ihren Hut festhielt.
    Sie musste seinen Wagen bemerkt haben, denn es dauerte keine Viertelstunde, bis sie vor seiner Tür auftauchte.
    »Haben Sie schon von dem Brand gehört?«, fragte sie ihn, als sie Hensleys Büro betrat. Er hatte sich die Zeit genommen, beim Gemüsehändler ein Päckchen Tee zu kaufen, und der Kessel war schon aufgestellt. Sie konnte ihn von der Tür aus pfeifen hören.
    »Das ist mir beim Frühstück als Erstes berichtet worden.«
    Sie folgte ihm in die Küche und sah zu, wie er Zucker und Dosenmilch suchte und dann die Tassen und Untertassen bereitstellte. »Haben Sie die Gänse fliegen sehen? Sie sind ein so hübscher Anblick, wie sie einander Mut zurufen und abwechselnd die Führung übernehmen, damit sie nicht ermüden. Ich bin beeindruckt.«
    »Sie sind nicht hergekommen, um über Vögel zu reden«, sagte er, während er den Tee ziehen ließ. »Aber es stimmt, ich habe sie gesehen.«
    Sie zitierte:
    Es liegt eine Schönheit im Vogelflug,
Die das Herz anrührt und erdgebundene Geschöpfe sich
Nach dem Fliegen sehnen lässt, doch der Lärm des Krieges
Hat die Lerchen über dem Schlachtfeld verstummen lassen.
Ich habe Vögel draußen über dem Meer beobachtet,
Wie sie sich vom Wind erfassen lassen,
Und mich danach gesehnt, ihnen zu folgen,
Zu einem sicheren Ort fern von hier.
    Er stutzte. Das war O. A. Mannings Gedicht »Sicher …«.
    »Ja, ich dachte mir schon, dass Sie diese Zeilen kennen«, sagte Mrs. Channing ohne eine Spur von Unbehagen, als hätte sie einen weiteren begeisterten Anhänger der Dichterin entdeckt.
»Mr. Towson mag die Gedichte auch. Wir hatten ein interessantes Gespräch darüber.«
    Er hatte die Ermittlung der Todesumstände von O. A. Manning durchgeführt, und dieser Fall hatte eine tiefe Narbe auf seiner Seele hinterlassen. Hatte sie auch das gewusst?
    »Sie sind eine vielseitig begabte Frau«, sagte er nüchtern.
    Sie nahm ihre Tasse und trank anerkennend einen Schluck. »An einem elend kalten Tag gibt es nichts Besseres als eine Tasse guten Tee. Warum begegnen Sie mir mit solchem Argwohn?«
    »Tue ich das?«, parierte er.
    »Schon seit dem Abend, als wir uns begegnet sind. Ich sagte es Ihnen doch schon. Ich habe keinen Grund, Ihnen Schlechtes zu wünschen.«
    »Ich wünschte, das könnte ich glauben. Sie besitzen ein unheimliches Talent, Menschen für sich einzunehmen, aber es schwingt immer auch dieses unterschwellige Wissen mit, das Sie von Rechts wegen nicht besitzen sollten.«
    »Glauben Sie, ich hätte Sie nicht gewarnt, wenn ich etwas von dem Lastwagen gewusst hätte?«
    »Ich wünschte, Sie könnten mir sagen, wer in Frith’s Wood mit Pfeil und Bogen auf Constable Hensley geschossen hat.«
    Sie zog die Stirn in Falten. »Fordern Sie mich damit auf, Ihnen zu helfen?«
    »Es war eine rein rhetorische Frage. Sonst gar nichts.«
    »Ich kann nicht nach Belieben Visionen beschwören, verstehen Sie. Wenn ich das könnte, hätte ich auf dieser Welt schon viel Gutes getan, indem ich andere vor drohenden Gefahren gewarnt hätte. Aber manchmal sind meine Wahrnehmungen unheimlich genau, und das ist beängstigend. Ich will den Tag meines Todes nicht wissen. Oder Ihres Todes. Oder andere traurige Dinge, die am besten vor uns allen verborgen

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