Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
ist. Er hat Schmetterlinge gesammelt, wissen Sie? Seine Nichte hat ein paar von den Schaukästen in ihrem Haus aufbewahrt. Das ist natürlich heute das Oaks. Nach ihren Lebzeiten ist es damit betrüblich bergab gegangen, das kann ich Ihnen sagen.«
Er trank seinen Tee aus und stand auf, um sich zu verabschieden. Sarah Lawrence schien enttäuscht zu sein, als hätte sie erwartet, er würde ihr noch mindestens eine Stunde Gesellschaft leisten.
Sie raffte sich auf und unternahm einen Versuch, seine Aufmerksamkeit weiterhin zu fesseln. »Sie haben mich gefragt, was sich’81 getan hat. Bis auf den Typhus war das kein ungewöhnliches Jahr, verstehen Sie? Aber’82, das war ein Jahr voller Tragödien. Die Frau des Pfarrers ist gestorben, Gerald Baylor wäre beinah von einem seiner Stiere totgetrampelt worden, und Mr. Ellison ist bei einem Unfall in London ums Leben gekommen. Ein Pferd ist durchgegangen, so war das. Und dieses goldige kleine Mädchen musste ohne ihn aufwachsen. Beatrice war ein so passender Name, verstehen Sie? An ihre Taufe kann ich mich noch erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.«
Kurz darauf ging Rutledge und stellte fest, dass er den Weg zur St. Luke’s Kirche eingeschlagen hatte. Es war ein Ort der Ruhe, an dem keine Echos von Constable Hensley, Emma Mason oder Mrs. Channing widerhallten.
Im Innern war es kühl, denn die Steinmauern gaben das Wenige, was für kurze Zeit als Wärme der Wintersonne gelten konnte, bereits ab. Er stellte seinen Mantelkragen hoch, als er einen Kirchenstuhl in der Nähe der Kanzel wählte und seine Gedanken schweifen ließ.
Hamish sagte: »Es ist zwecklos, es wird nicht alles zusammenpassen.«
»Irgendwie doch. Am Ende werde ich Klarheit haben.« Seine
Stimme erschreckte ihn, als er ihren hohlen Klang durch die leere Kirche hallen hörte.
»Du bist nur mit einer einzigen Aufgabe hierhergeschickt worden.«
»Die Klärung von Morden ist meine Aufgabe.«
»Ja, aber nicht eine Leiche, die schon lange vor deiner Geburt tot war.«
Rutledge gab keine Antwort.
Hamish hielt beharrlich daran fest. »Das führt zu nichts. Du hast keine Beweise. Nach all der Zeit kannst du sie nicht finden.«
»Ich muss mit dem Pfarrer sprechen.«
»Er ist nicht der Mann, den man mit einer solchen Geschichte belastet.«
Das stimmte. Der Pfarrer war trotz all seiner Erfahrung in weltlichen Dingen ein wenig wirklichkeitsfremd. Er würde nicht glauben, was Rutledge ihm zu berichten hatte, und schon bald würde sich ein Teil der Geschichte, wenn nicht alles, verbreitet haben und mit Gerüchten ausgeschmückt werden.
»Dann spreche ich eben mit dem Arzt.«
»Ja, mit dem Arzt.«
Nach einer Weile verließ Rutledge die Kirche und machte sich auf die Suche nach Dr. Middleton.
Middleton wollte nichts davon hören. »Sie greifen nach den Sternen.«
»Ich glaube, das, was ich Ihnen gerade geschildert habe, ist wahrscheinlich. Möglich ist es auf alle Fälle.«
»Und wie wollen Sie das beweisen? Seien Sie vernünftig, es führt zu nichts, sich damit zu befassen, und es könnte viel Leid verursachen, falls Sie sich irren.«
Auch das galt es zu bedenken.
»Sie geben mir Ihr Wort darauf, niemandem gegenüber etwas verlauten zu lassen?«, fragte Rutledge.
Middleton lächelte grimmig. »Ich lebe hier, verstehen Sie. Ich denke gar nicht daran, mich ins eigene Fleisch zu schneiden.«
Rutledge ging wieder in Hensleys Haus und begann seinen Bericht zu schreiben.
Eine Stunde später war er damit fertig und legte den Bericht zur Seite, unter einem Stapel von Papieren auf Hensleys Schreibtisch verborgen.
Kurz darauf klopfte Mrs. Channing leise an und sagte: »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Meine Taschen sind gepackt, und der Wagen steht schon vor dem Haus.«
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte er zu ihr.
»Es ist nichts mehr vorgefallen, seit Sie dem Lastwagen entkommen sind. Ich glaube, nach diesem öffentlichen Spektakel ist er gewarnt. Oder er hat das Spiel satt. Ich vermute, er hatte es auf jemanden abgesehen, dem er einen fürchterlichen Schrecken einjagen kann. Und wenn das wahr ist, hat er sich den falschen Mann ausgesucht.«
»Sie lügen nicht besonders gut.«
»Ich will Sie nicht sterben sehen«, sagte sie schonungslos. »Ich habe schon genug Tod und Zerstörung gesehen. Ich möchte meine Séancen abhalten und tote Könige und alberne Hofnarren und den Geist von Hamlets Vater heraufbeschwören. Das schadet niemandem, und es bringt die Leute zum Lachen. Und mich
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