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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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durchleben, würden Sie dann genauso handeln - würden Sie fortgehen?«
    Sie wandte sich wieder zu ihm um. »Oh ja. Ich habe fest daran geglaubt, dass er mich liebt. Aber wenn er sich zu Emma hingezogen fühlte, kann seine Liebe zu mir nicht so tief gewesen sein, wie ich glaubte. Und sie war damals erst vierzehn.« Sie unterbrach sich. »Es war schon schlimm genug, dass er versucht hat, sie zu küssen. Aber ein Kind dafür zu schlagen, dass es ihn verschmäht, das hat mir eine Seite seines Charakters gezeigt, von der ich vorher nichts gewusst hatte. Am meisten hat mich
verletzt, dass ich mich in meinem Urteil so vollständig geirrt hatte. Ich habe ihn für den Besten von dieser Familie gehalten, aber er war genauso wie seine Brüder, selbstsüchtig bis ins Mark.«
    »Der Umstand, dass Emma Mrs. Ellisons Enkelin war, hat Rob Baylor nicht beirren können?«
    Grace Letteridge lachte, doch es war ein schroffes, schmerzliches Lachen. »Ich glaube nicht, dass er in dem Moment einen klaren Gedanken fassen konnte, und die Abstammung von den Harknesses dürfte ihn nicht die Bohne interessiert haben.«
    »Wusste Mrs. Ellison, dass Emma derart unerwünschte Aufmerksamkeit erregt hat?«
    »Manchmal haben sie sich darüber gestritten. Mrs. Ellison war der Meinung, dass Emma Männer ermutigte. Dass selbst der abgebrühteste Verführer beschämt den Rückzug angetreten hätte, wenn sie eine echte Dame - und eine Harkness - gewesen wäre.« Ihre Mundwinkel verzogen sich sarkastisch. »Damit hat sie Emma zum Weinen gebracht. Sie hat mir erzählt, sie wollte nach London gehen und ihre Mutter suchen. Und ich habe ihr gesagt, sie wüsste nicht einmal, wo sie mit der Suche beginnen sollte. Schließlich waren ihre Briefe zurückgekommen, sie konnte nicht sicher sein, wohin es ihre Mutter mittlerweile verschlagen hatte. Nach Bath … Winchester … Oxford … Paris …«
    »Glauben Sie, sie hat diese Mahnungen beachtet? Oder hat sie sich in ihrer Verzweiflung trotzdem auf den Weg nach London gemacht?«
    »Ich dachte, sie sei tot. Und Constable Hensley hätte sie umgebracht. Verstehen Sie, ich habe mich immer gefragt, wozu Robbie in der Lage gewesen wäre, wenn er tatsächlich zu weit gegangen wäre. So, wie die Dinge standen, hat er sie nur geohrfeigt und sie als kokettes Luder beschimpft, das nicht hält, was es verspricht. Aber davon hatte sie ihrer Großmutter nichts erzählt, weil sie sich zu sehr geschämt hat. Constable Hensley hätte
das Gefühl haben können, ihm sollte mehr Erfolg beschieden sein als dem Sohn eines Bauern. Und dann hätte er zu spät begriffen, dass es kein Zurück gab. Mrs. Ellisons Namen wird in dieser Gegend großes Gewicht beigemessen. Und sie hätte sich mit Zähnen und Krallen auf ihn gestürzt, selbst dann, wenn sie geglaubt hätte, dass Emma selbst schuld daran war. Er war hier nicht besonders beliebt, und alle hätten sich auf die Seite von Mary Ellison geschlagen. Aber das Skelett, das Sie im Wald gefunden haben, war trotz allem nicht Emmas Leiche, stimmt’s? Also habe ich mich doch geirrt.«
    Hamish sagte: »Du kannst nicht ganz sicher sein, dass sie die Wahrheit sagt.«
    »Nein, es war nicht Emmas Leiche«, bestätigte er ihr unter Missachtung der Stimme. Und nach einem Moment fügte er hinzu: »Aber ich frage mich, ob es nicht vielleicht die Leiche ihres Großvaters war.«
    Er hielt ihr den goldenen Zahnstocher hin und beobachtete ihr Gesicht.
    Das Erstaunen wich anderen Empfindungen, die sich in rascher Folge auf ihrem Gesicht ablösten. Wiedererkennen. Begreifen. Furcht.
    »Das war das letzte Weihnachtsgeschenk, das Beatrice ihm jemals gemacht hat. Wo haben Sie das gefunden? Doch gewiss nicht im Wäldchen, gemeinsam mit dem Skelett? Allmächtiger!«
    Rutledge sagte: »Woher wussten Sie von dem Zahnstocher?«
    »Beatrice hat mir davon erzählt. Sie hat ihn selbst ausgesucht, als fünfjähriges Kind in Northampton. Ihre Mutter war mit ihr hingefahren, um eine Cousine zu besuchen, und sie hatte ihn dort in einem Laden gesehen. Ich bezweifle, dass sie zu dem Zeitpunkt wusste, was es war, sie fand ihn nur hübsch, und die Cousine hat zugelassen, dass sie ihn für ihren Vater kauft. Mrs. Ellison war gar nicht erfreut über diese Wahl. Aber die Cousine hat zu ihr gesagt, sie solle nicht albern sein, das Kind könne tun, was es wollte. Und so ließen sie die Gravur anbringen und
der Zahnstocher wurde in silbernes Seidenpapier mit einer grünen Schleife gewickelt.«
    »Und Sie sind ganz sicher, dass sie ihn

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