Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
Vom Netzwerk:
mit einem strengen Blick zu bezwingen, scheiterte jedoch. »Ermüden Sie mir meinen Patienten bloß nicht. Sonst muss ich die Oberschwester bitten, Sie rauszuwerfen.«
    »Nein, ich werde ihn nicht ermüden.« Rutledge setzte sich und legte seinen Hut auf dem Fußende des Bettes ab. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er Hensley. Es war eine rhetorische Frage, die er aus reiner Höflichkeit stellte.
    »Grauenhaft«, klagte Hensley mit gepresster Stimme. Sein grobes, gut geschnittenes Gesicht war abgespannt und wirkte scharfkantiger. Er gab sich Mühe, sich zu konzentrieren. »Man hat mir gesagt, die Ärzte hier hätten mir das Leben gerettet. Ich kann es nicht beurteilen. Ich kann mich an so gut wie nichts von dem erinnern, was vorgefallen ist. Wer sind Sie? Sie sind nicht von hier …«
    »Mein Name ist Rutledge. Ich bin aus London gekommen, um mich mit dieser Angelegenheit zu befassen.«
    »Hat der alte Bowles Sie geschickt?«, fragte Hensley und zeigte plötzlich mehr Interesse. »Er hat sich immer um seine Leute gekümmert.« Er wartete keine Antwort von Rutledge ab, sondern rutschte unbehaglich herum. »Das sind diese verfluchten Verbände - sie sind klebrig und ziehen an den Nähten und dagegen lässt sich nichts machen. Es ist schon schlimm genug, was sie getan haben, um die Pfeilspitze zu entfernen. Die Schmerzen sind höllisch! Ich hatte noch keine Minute Frieden, seit ich in diesem Bett aus der Narkose erwacht und wieder zu mir gekommen bin.« Er warf einen finsteren Blick auf die Krankenschwester, doch sie schenkte ihm keinerlei Beachtung.
    »Sie sagen, Sie könnten sich an so gut wie nichts erinnern. Wissen Sie noch, wo Sie waren, als der Pfeil Sie getroffen hat?«
    Schon während Rutledge diese Worte aussprach, sah er vor seinem geistigen Auge das Bild einer zerschmetternden Windschutzscheibe
und stieß es sogleich wieder in die Schatten zurück, aus denen es heraufbeschworen worden war.
    Hensley wandte den Blick ab. »Man hat mir berichtet, sie hätten mich am südlichen Rand von Frith’s Wood gefunden. Ob das wahr ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Wenn es so war, dann bin ich nicht aus eigener Kraft dorthin gelangt.«
    »Liegt dieses Wäldchen normalerweise an Ihrer üblichen Route? Ist es zum Beispiel nah genug, um etwas zu hören oder zu sehen, was Ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat? Selbst wenn Sie sich jetzt nicht daran erinnern können, hingegangen zu sein?«
    Hensley antwortete ihm mit einer Eindringlichkeit, die in keinem Verhältnis zu dieser Frage stand. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mit meinem Fahrrad auf dem Weg nach Letherington war, und die Straße verläuft ein gutes Stück östlich von dem Wäldchen! Wie hätte ich von dort aus irgendetwas hören oder sehen können? Alles Weitere ist mir unklar. Man berichtet mir, ich sei zu mir gekommen, als sie die Bahre in Mr. Staleys Wagen gehoben haben. Falls das der Fall ist, könnte ich Ihnen nicht sagen, was geredet wurde.«
    »Haben Sie eine Vermutung, wer auf Sie geschossen haben könnte? Würde in dem Wäldchen jemand Bogenschießen üben oder Kaninchen jagen?«
    »Nicht in Frith’s Wood, ganz bestimmt nicht. Die Leute meiden das Wäldchen.« Er rutschte wieder herum und versuchte, eine etwas bequemere Haltung zu finden. »Dort stehen die Bäume ohnehin zu dicht beieinander, um etwas Ordentliches anzufangen, das Bogenschießen inbegriffen.«
    »Gibt es in Dudlington jemanden, der einen Groll auf Sie hat?«
    Etwas huschte über Hensleys Züge, ein Hauch von Schuldbewusstsein, glaubte Rutledge.
    »Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, und schon gar nicht, warum«, antwortete er in dem Moment, als der Patient
drei Betten weiter heftig zu husten begann. Die Schwester eilte an seine Seite, und Hensley beobachtete, wie sie den Mann höher auf seinen Kissen aufrichtete. »Da geht keiner hin, jedenfalls keiner, der bei klarem Verstand ist. Und ich am allerwenigsten. Ich kann mir nicht denken, weshalb mich jemand dorthin schleifen sollte. Es sei denn, um zu verbergen, was derjenige getan hat.«
    »Er ist nicht gerade leicht«, sagte Hamish mit kaum vernehmlicher Stimme in Rutledges Kopf. »Den würde so schnell keiner durch die Gegend schleifen und schon gar nicht am helllichten Tage, wenn Leute unterwegs sind.«
    »Was hat es mit diesem Wäldchen auf sich?«, fragte Rutledge. »Warum meiden es die Leute?«
    »Dort treiben die Toten ihren Spuk, heißt es.«
    »Welche Toten?«
    Hensley schloss die Augen, als

Weitere Kostenlose Bücher