Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
im Norden der Grafschaft. Auf einen Constable ist mit Pfeil und Bogen geschossen worden, wenn das nicht die Höhe ist!«
»Mit Pfeil …«, setzte Rutledge überrascht an, doch Bowles schnitt ihm das Wort ab.
»Er wird durchkommen, aber das hat er nicht dem Schurken zu verdanken, der auf ihn geschossen und ihn dann bei diesem Wetter draußen liegen lassen hat, damit er an der Wunde stirbt. Dieser Schuss ist mit Absicht abgegeben worden, da sind wir ganz sicher. Und ich will, dass derjenige, der das getan hat, sofort vor den Richter gebracht wird. Haben Sie verstanden? Hensley ist einer meiner Männer, oder er war es jedenfalls, als ich Inspector in Westminster war. Er ist trotz meiner Einwände in den Norden gegangen, und jetzt zeigt sich ja, was er sich damit eingehandelt hat.«
Bowles’ Gesicht war rot und fleckig vor Wut. Er drängte Rutledge eine dicke Akte auf.
»Stehen Sie nicht herum, Mann! Ich will, dass Sie Hensley, falls diese dämlichen Ärzte es zulassen, noch heute Abend vernehmen und der Angelegenheit auf den Grund gehen. Er liegt in Northampton im Krankenhaus und der zuständige Inspector sagt, er ist gerade operiert worden.«
Es war zwecklos, Erschöpfung oder sonstige dringende Angelegenheiten vorzuschieben. Bowles war ein Mann, der sich für nichts anderes interessierte als dafür, seinen Willen zu bekommen. Und sich wütend aufzublasen war ein erprobtes Mittel, um Einwände seitens seiner Untergebenen von vornherein abzuwürgen.
Rutledge nahm die Akte und ging.
Am Ende des Korridors lief er Sergeant Gibson über den Weg. Der Sergeant unterhielt sich gerade mit dem Mann, der den Boden fegte.
Gibson wandte sich zu Rutledge um und sagte verdrossen: »Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, Hensleys Ruf war bei seiner Versetzung angeschlagen. Näheres habe ich nie in Erfahrung gebracht. Eine persönliche Angelegenheit. Er hat es geschafft, dass dem alten Bowles nichts davon zu Ohren gekommen ist. Der Chief Superintendent hat ihn für den perfekten Bullen gehalten. Er hat ihn uns zahllose Male als glänzendes Vorbild hingestellt.«
Rutledge sagte trocken: »Dann wird es für diesen Mordversuch unbegrenzt viele Verdächtige geben.«
Gibson verkniff sich im letzten Moment ein Grinsen und erwiderte stattdessen: »Wie die Mächtigen manchmal zu Fall gebracht werden.« Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung und ließ Rutledge stehen.
Dudlington war eine winzige Ortschaft aus Steinhäusern mit grauen Schieferdächern und einer einzigen Kirche mit schlankem
Turm, die sich inmitten der weiten Flur zusammenkauerten, als suchten sie Wärme oder Trost. Das kräftige Braun gepflügter Felder und das gelbliche Grün von Winterweiden lag wie eine Decke um sie ausgebreitet, doch die Häuser kehrten dem Land den Rücken zu, als ignorierten sie es, und die niedrigen Scheunen, die da und dort dazwischengezwängt waren, als hätte keiner gewusst, was man damit anfangen sollte, waren ein nachträglicher Einfall. Das Dorf lag nördlich der Hauptstadt der Grafschaft, doch Rutledges erste Station war Northampton.
Dort fand er den Weg zum Krankenhaus, wurde jedoch abgewiesen, da Hensley sich noch nicht von dem operativen Eingriff erholt hatte.
Rutledge verbrachte den Rest der Nacht in einem Hotel, das ihm ein Pfleger empfohlen hatte, und kehrte am Morgen zurück.
Trotz der Einwände der Oberschwester begab er sich in die Station, um nachzusehen, ob Hensley wach war.
Der Constable lag auf der linken Seite in einem Saal mit sechs oder sieben anderen Männern und beobachtete durch halb geschlossene Lider, wie eine Krankenschwester seinen Bettnachbarn wusch. Zwei der Patienten schnarchten laut. Die anderen lagen so ruhig da, als bereitete ihnen jede Bewegung zu große Schmerzen.
Hensley blickte auf, als Rutledge neben seinem Bett stehen blieb. »Sie sind wohl einer von den Ärzten?«, fragte er heiser. »Man hat mir gesagt, Sie würden mir etwas gegen die Schmerzen geben.«
Er war blass, und seine gewölbte Brust war mit Verbänden umwickelt. Sein spärliches dunkles Haar war gekämmt und gescheitelt, als sei er bereits von der rundlichen Schwester hergerichtet worden, die sich jetzt an Rutledge wandte.
»Besuchszeit ist erst in vierzig Minuten«, teilte sie ihm schroff mit. »Ich muss Sie bitten zu gehen!«
»Ich bin in polizeilichen Angelegenheiten hier, Schwester«,
sagte Rutledge und zog einen Stuhl von der Bettseite eines anderen Patienten heran, um sich neben Hensley zu setzen.
Sie versuchte, ihn
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