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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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Bitten geäußert hatte.
    »Es überrascht mich, dass Hillary Ihnen diese Dinge nicht längst gebracht hat«, sagte Rutledge. »Besonders kompliziert kommt mir das nicht vor.«
    »Sie will in meinem Arbeitszimmer nichts anrühren. Sie wagt sich nie auch nur hinein, um Staub zu wischen. Man könnte meinen, sie fürchtet sich - als wohnte Gott dort, um mir bei meinen Predigten zu helfen.«
    Rutledge lachte. »Ich werde mein Bestes tun.«
    Er ging in das Arbeitszimmer, einen kleinen Raum mit Blick auf die Kirche, und suchte die Gegenstände zusammen, die Towson ihm aufgetragen hatte.
    Die Bücher auf dem Regal neben dem Schreibtisch des Pfarrers waren leicht zu finden, und die Schreibutensilien lagen neben der Schreibunterlage. Rutledge fragte sich, wie er das alles die Treppe hinauftragen sollte. Er sah sich gerade nach einem geeigneten Behältnis um, als sein Blick auf eine gerahmte Fotografie auf dem kleinen Tischchen neben dem einzigen Sessel im Zimmer fiel. Auf diesem Tischchen stand auch eine Lampe und daneben lag ein Buch, aus dem Papierstreifen herausschauten, die bestimmte Seiten markierten. Er trat näher, um sich die
Fotografie anzusehen, und dann ließ er sich von dem Buch ablenken.
    Es war in Leder gebunden, eine Art Album, auf dessen Seiten Ausschnitte geklebt waren. Er konnte die gewellten Ränder herausschauen sehen.
    Rutledge streckte die Hand danach aus, um das Album aufzuschlagen, und Hamish sagte: »An deiner Stelle würde ich nicht schnüffeln …«
    Er ignorierte die Stimme.
    Die Ausschnitte stammten aus verschiedenen Zeitungen, und auf jedem von ihnen waren der Name der Zeitung und das Datum mit Tinte vermerkt.
    In den meisten Fällen handelte es sich um Todesanzeigen oder Nachrufe. Ganz vorn war ein Nachruf auf Mrs. Towson, kurz, aber blumig, die dort als die geliebte Frau unseres braven Pfarrers beschrieben wurde. Andere galten hiesigen Männern, die im Krieg gefallen waren. Jede Todesanzeige und jeder Nachruf war sorgsam mitten auf ein schwarzes Blatt Papier geklebt, als sollten die Männer damit geehrt werden. Er überflog ein oder zwei Nachrufe und dachte sich dabei, dass diese jungen Männer keine Zeit gehabt hätten, weit über das Knabenalter hinaus zu leben. Nur der Krieg hatte ihnen Realität verliehen; ihr Dienstgrad und ihre Lebensdaten und die Schlacht, in der sie gefallen waren, traten als ihre einzigen Errungenschaften hervor.
    Der Sohn von … Junge Männer, die nicht geheiratet hatten, keine eigenen Familien gegründet, keine Spuren im Leben hinterlassen und keinen Nachwuchs hervorgebracht hatten.
    Wie viele von ihnen hatte er in die Schlacht ziehen und fallen sehen? Wie viele von ihnen hatte er als Individuen in Erinnerung behalten wollen, indem er sich immer wieder ihre Namen vorsagte, während er in den dunklen Nächten des Winters und den kurzen Nächten des Sommers im Schützengraben stand? MacKay, Sutherland, Gordon, Campbell, Scott, MacIver, MacInnes, MacTaggert, Chisholm, Kerr, Fraser …

    Das erinnerte ihn an Elizabeth Fraser, und er sah sie vor sich, wie sie sich gegen den Schnee absetzte, ihr Haar so hell wie eine Krone, ihre Gestalt groß gewachsen und schlank. Die Erinnerung stahl sich bereits fort, und der Gedanke, dass er jetzt schon begann, sie zu vergessen, schmerzte ihn.
    Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf das Album zu richten und Namen, Altersangaben und Schlachten zu überfliegen.
    Und dann sprang ihm ein ganz bestimmter Name ins Auge.
    Robert Baylor, zwanzig Jahre alt, Sohn des verstorbenen Robert und der ebenfalls verstorbenen Ellen Baylor von der Dudlington Farm, ließ seine Brüder Theodore und Joel und seine Verlobte Grace Letteridge zurück.
    Er klappte das Album behutsam zu, damit zwischen den markierten Seiten keiner der Papierstreifen herausfiel.
    Hamish sagte: »Du hättest es dir nicht ohne seine Erlaubnis ansehen sollen, das gehört sich nicht.«
    »Aber jetzt weiß ich Bescheid«, antwortete er. Einer der Toten, die an der Somme gefallen waren. Ein junger Mann, der verlobt gewesen war - doch er war von Constable Markham gesehen worden, als er sich mit Emma Mason auf dem Gras hinter der Kirche herumwälzte.
     
    Rutledge brachte dem Pfarrer die Bücher und die Schreibutensilien und legte alles in seiner Reichweite auf dem Bett ab. »Ich konnte keine Schreibunterlage finden.«
    »Diese kleine, flache Schachtel mit den Taschentüchern dort drüben wird sich gut eignen«, sagte Towson und deutete darauf. »Ich werde vorsichtig damit

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