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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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heraus und legten dort einen kurzen Weg zu einer anderen Treppe zurück, die eine Etage höher führte.
    Dort kamen sie nicht etwa auf einem Dachboden heraus, wie Rutledge vermutet hatte, sondern in einem weiteren Gang mit kleinen Zimmern, die für Kinder oder Dienstboten gedacht sein
mussten. Die Türen waren geschlossen, was den Gang schmaler wirken ließ als in dem Stockwerk darunter und bei Rutledge klaustrophobische Beklommenheit auslöste. Der Läufer in der Mitte des Korridors war abgenutzt, aber offenbar robust.
    Er würde, wie Hamish hervorhob, Schritte dämpfen.
    Baylor öffnete die Tür zu einem hellen Eckzimmer mit quadratischen Fenstern und einem eisernen Bettgestell an einer Wand, einem Waschtisch in der Nähe der Tür und einer hohen Kommode an der linken Wand. Das Zimmer wirkte unbenutzt und bar jeglicher persönlichen Note. Kein Anzeichen wies auf einen Bewohner hin. Zwischen den Nordfenstern stand ein Schreibtisch. Dorthin ging Rutledge und stützte seine Hände auf die Holzplatte, um hinausschauen zu können.
    Er konnte das Wäldchen recht gut sehen, aber nicht annähernd so gut hineinblicken wie vom Kirchturm aus.
    »Es wäre hilfreich, wenn ich jemanden in das Wäldchen schicken und währenddessen hier stehen könnte, um zu beobachten, wie derjenige dort vorankommt«, sagte Rutledge. »Eine Art Test. Wären Sie so liebenswürdig, etwa zehn Minuten dort umherzulaufen?«
    »Ich setze keinen Fuß in dieses Wäldchen, wenn es sich vermeiden lässt. Da finden Sie mal besser eine andere Versuchsperson.«
    Ohne jede Hast wandte sich Rutledge dem Westfenster zu, von dem aus die Kirche zu sehen war, und fand sich der schmalen Öffnung nach Osten gegenüber, auf deren Höhe er vor knapp zwanzig Minuten auf der Leiter gestanden hatte. Bleiches Licht drang von den gegenüberliegenden Seiten des Kirchturms ein und erhellte das Innere, und er sagte sich: Dort könnte mich tatsächlich jemand gesehen haben. Es ist nicht ausgeschlossen.
    »Haben Sie eine Putzfrau?«, fragte er Baylor und drehte sich zu ihm um. »Oder kommt Ihr Bruder vielleicht von Zeit zu Zeit hier herauf, um auf die Felder hinauszublicken? Von hier aus hat man wirklich eine gute Aussicht.«

    »Dieses Stockwerk wird von niemandem benutzt. Schon seit unserer Kindheit nicht mehr, als meine Eltern noch am Leben waren.«
    »Können Sie das mit Sicherheit sagen?«
    »Ich sagte es Ihnen doch schon. Wir benutzen dieses Stockwerk nicht.«
    Aber Rutledge war so gut wie sicher, dass vor höchstens einer halben Stunde jemand hier oben gewesen war, und sei es auch nur für kurze Zeit. In dem Staub, der sich auf der Fensterbank neben ihm angesammelt hatte, war der Abdruck einer Hand deutlich zu sehen.
    Als sie die Treppe hinunterstiegen und wieder in die Küche kamen, kochte gerade das Wasser im Kessel.
    Baylor sagte: »Ich werde Sie nicht auf eine Tasse Tee einladen.«
    Es war eine klare Aufforderung, das Haus zu verlassen.
    »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfsbereitschaft.« Rutledge ging zur Tür hinaus und hörte, wie sie direkt hinter ihm geschlossen wurde.
     
    Er machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus, und als er anklopfte, öffnete ihm Hillary Timmons erschöpft die Tür. Sie trat zur Seite, als ängstigte sie sich vor ihm, und ihm fiel sein Wutausbruch in der Küche des Oaks wieder ein.
    »Wie geht es dem Pfarrer?«, fragte er, nachdem er sie begrüßt hatte.
    »Er ist aufsässig.« Sie lächelte, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »Er kann nicht so, wie er will, und das Nichtstun strapaziert seine Geduld.«
    »Vielleicht hilft es, wenn ich ihn ein Weilchen ablenke.«
    »Oh, das wäre nett von Ihnen. Ich muss mich um sein Abendessen kümmern. Bisher bin ich noch nicht dazugekommen.«
    Er stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf und lief durch
den Flur zum Zimmer des Pfarrers. Towson begrüßte ihn mit unverhohlener Erleichterung. »Gott sei Dank, dass Sie kommen«, sagte er. »Ich brauche so vieles, und die kleine Hillary ist ein hoffnungsloser Fall.«
    »Was hätten Sie gern?«, erkundigte sich Rutledge. Er legte seinen Hut ab und warf seinen Mantel über einen Stuhl.
    »Ts, ts! Hat sie Ihnen den Garderobenständer im Eingang nicht gezeigt?«
    »Das macht doch nichts. Was kann ich Ihnen bringen?«
    »Die drei Bücher neben dem Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer. Papier, Stifte und eine Schreibunterlage. Tinte. Den Tintenlöscher …« Er sprach so eilig weiter, als fürchtete er, Rutledge könnte ihn im Stich lassen, bevor er all seine

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