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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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mit den steinernen Stufen und war schon auf halbem Wege nach unten, als der große Bronzeklöppel über seinem Kopf die Stunde schlug und der gewaltige Klang ihn einhüllte.
    Als er endlich auf festem Boden angelangt war, begab er sich auf direktem Wege in die Sakristei und fand dort eine klare Glasscheibe, durch die das Baylor-Haus zu sehen war.
    Aber falls dort tatsächlich jemand an einem der oberen Fenster gestanden hatte, war er inzwischen fort. Das Einzige, was Rutledge sehen konnte, waren die vorüberziehenden Wolken, die sich in dem dunklen Glas spiegelten, wie der Schatten von Laub, das sich in einer Brise regt. Er glaubte schon fast, seine Fantasie sei in diesem Kirchturm mit ihm durchgegangen.
    Hamish verhöhnte ihn: »Du hast die Nerven verloren, jawohl. Da stand keiner, der dir auflauern wollte, nur ein Mann, der aus seinem eigenen Fenster geschaut hat.«
    »Lass mich bloß mit meinen Nerven in Ruhe! Was ich jetzt wissen will, ist, ob dort häufig jemand steht. Und ob er gesehen hat, was sich letzten Freitag oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in Frith’s Wood abgespielt hat. Falls mich tatsächlich jemand
durch die schmale Öffnung im Kirchturm gesehen hat, hat derjenige in den letzten Wochen auch jemand anderen dort oben gesehen?«
    »Im Winter dürfte es so dicht unter dem Dach des Hauses recht eisig sein«, gab Hamish spöttisch zurück. »Und wie du weißt, leben dort nur zwei Personen, die beide keine Zeit haben rumzustehen und andere zu beobachten. Es ist nicht anzunehmen, dass sie etwas gesehen haben. Es sei denn, sie hätten großes Glück gehabt.«
    »Dann ist es an der Zeit herauszufinden, wie es um ihr Glück bestellt ist.«

19.
    Als Rutledge den Messingklopfer an die Tür fallen ließ, öffnete ihm niemand. Er ging um das Haus herum zum Küchengarten.
    Die Hintertür war angelehnt, und er trat ein und rief: »Baylor? Sind Sie zu Hause?«
    Er konnte irgendwo im Haus Stimmen hören und lief durch den Gang zur Küche. Auch dort war niemand. Es war zwar alles ordentlich, doch der Raum hatte eine männliche Note - Rouleaus anstelle von Gardinen an den Fenstern und ein Wachstuch auf dem Tisch. Das einzige feminine Zugeständnis war ein abgenutztes Kissen mit Rüschen auf einem der Stühle, als hätte dort früher einmal eine Frau gesessen.
    Die Tür am anderen Ende der Küche führte zum anderen Teil des Hauses, und er lief leise durch einen zweiten Gang. Er hatte gerade ein Zimmer mit einer offenen Tür erreicht, als Baylor herauskam und beinah mit ihm zusammengeprallt wäre.
    »Was zum Teufel soll das heißen!«, rief er aus, da er verblüfft war, jemanden in seinem Haus vorzufinden.
    »Ich habe an die Haustür geklopft und Sie von der Küche aus gerufen - vielleicht hätten Sie aufmachen sollen. Sie müssen mich gehört haben.«
    »Sie verfluchter Kerl, Sie haben kein Recht, einfach so hereinzukommen.« Baylor war wütend, und sein Gesicht war rot angelaufen.
    »Ich bin gekommen, um zu fragen, ob ich aus einem Ihrer
oberen Fenster auf Frith’s Wood schauen dürfte. Das kann gewiss nicht schaden. Wahrscheinlich ist es der beste Beobachtungsposten im ganzen Ort.«
    »Was soll das heißen? Wollen Sie damit etwa sagen, hier würde jemand das Wäldchen beobachten? Sie müssen verrückt sein. Wir hatten nichts mit dem Überfall auf Hensley zu tun. Abgesehen davon, dass ich ihm an jenem Tag das Leben gerettet habe.«
    »Verstehen Sie mich nicht absichtlich falsch, Baylor. Ich will mich lediglich ans Fenster stellen, damit ich beurteilen kann, wie gut das Wäldchen von dort aus zu sehen ist.«
    Hamish sagte leise: »In diesem Zimmer ist jemand. Und da musst du durch, um zur Treppe zu gelangen.«
    Rutledge konnte spüren, dass sich dort jemand aufhielt, stumm und furchtsam.
    »Hören Sie, ich kann die Hintertreppe zum Dachboden nehmen, wenn Sie vorausgehen. Es ist überhaupt nicht nötig, dass ich den Rest des Haushalts störe.«
    Baylor wägte unentschlossen seine Möglichkeiten gegeneinander ab. »Von mir aus. Hier entlang.«
    Er drängte Rutledge im Vorübergehen grob aus dem Weg, weil er ihn mit allen Mitteln ärgern wollte, und lief in die Küche voraus. Von dort aus gelangten sie durch eine weitere Tür zur Hintertreppe, die sich mit schmalen, steilen Stufen nach oben wand. Baylor erklomm sie mit der Leichtfüßigkeit dessen, der es gewohnt ist, doch Rutledge musste in der Tür den Kopf einziehen und sich beim Aufstieg mit einer Hand an der Wand abstützen.
    Sie kamen im ersten Stockwerk

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