Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
dran.«
»Sie dachte, er wäre für ihre Mitbewohnerin bestimmt«, ergriff Harper das Wort. »Sie hat nicht allein gelebt. Das heißt, dass die Liste mit den elf Frauen hinfällig ist.«
»Nein, es bestätigt nur unseren Eindruck«, erklärte er. »Dass es um elf Frauen geht, die anscheinend allein leben, soweit sich das für einen Außenstehenden, der auf reines Aktenstudium angewiesen ist, ermessen lässt. Wir haben uns bei den anderen achtzig erkundigt. Achtzig Anrufe! Haben gesagt, wir wären vom Kundendienst eines Paketzustellers. Hat uns zig Arbeitsstunden gekostet. Aber keine wusste irgendwas von einer unerwarteten Lieferung. Achtzig Frauen passen also nicht in unser Raster, die anderen elf aber sehr wohl. Reachers Theorie gilt also nach wie vor. Wenn er nicht auf eine Mitbewohnerin gefasst war, dann ist es der Täter erst recht nicht.«
Reacher warf ihm einen kurzen Blick zu. Teils anerkennend, teils verdutzt.
»Ehre, wem Ehre gebührt«, meinte Blake.
Lamarr nickte und notierte sich etwas.
»Mein herzliches Beileid«, sagte Reacher zu ihr.
»Vielleicht wäre es zu verhindern gewesen«, sagte sie,
»wenn Sie von Anfang an mit uns zusammengearbeitet hätten.«
Danach herrschte Schweigen.
»Wir haben es also mit sieben weiteren Fällen zu tun«, sagte Blake. »Keinerlei Frachtpapiere, die Frauen wussten nicht näher Bescheid.«
»Im einen Fall handelt sich ebenfalls um eine Wohngemeinschaft«, ließ Poulton sie wissen. »Außerdem haben uns drei Frauen eindeutig bestätigt, dass sie irrtümlich irgendeine Lieferung erhalten hätten und nur noch nicht dazu gekommen wären, sie zurückzusenden. Die beiden anderen konnten einfach keine genauen Angaben machen.«
»Scimeca konnte es nicht, das steht fest«, sagte Harper.
»Sie hat einen schweren Schock erlitten«, warf Reacher ein. »Schon ziemlich beachtlich, dass sie überhaupt zurechtkommt.«
Lamarr nickte kurz und knapp, aber verständnisvoll.
»Jedenfalls bringt sie uns kein Stück weiter«, sagte sie.
»Was ist mit den Lieferanten?«, fragte Reacher. »Seid ihr hinter denen her?«
»Wir wissen nicht, um wen es sich handelt«, erwiderte Poulton. »Bei allen sieben Kartons fehlen die Papiere.«
»Allzu viele Möglichkeiten gibt es nicht«, meinte Reacher.
»Nein?«, versetzte Poulton. »UPS, FedEx, DHL, Airborne Express, der verfluchte United States Postal Service und wen es sonst noch alles gibt, dazu alle möglichen lokalen Subunternehmer.«
»Nehmt sie euch alle vor«, schlug Reacher vor.
Poulton zuckte die Achseln. »Und was sollen wir sie fragen? Könnt ihr euch an eins von zig Millionen Paketen erinnern, das ihr in den letzten zwei Monaten ausgeliefert habt?«
»Ihr müsst es versuchen«, sagte Reacher. »Fangt in Spokane an. Das Haus ist so abgelegen, dass sich der Fahrer vielleicht daran erinnert.«
Blake beugte sich vor und nickte. »Na schön, wir versuchen es dort. Aber nur dort. Ansonsten ist das unmöglich.«
»Warum können die Frauen keine genauen Angaben machen?« , fragte Harper.
»Aus vielerlei Gründen«, antwortete Lamarr. »Sie sind allesamt seelisch angeschlagen, wie Reacher schon sagte, zumindest in einem gewissen Grad. Wenn sie unverhofft ein großes Paket erhalten, das sie nicht bestellt haben, empfinden sie das als eine Verletzung ihrer Privatsphäre. Sie weigern sich, es zur Kenntnis zu nehmen. In solchen Fällen ist, denke ich, nichts anderes zu erwarten.«
Sie sprach leise und angespannt, hatte ihre knochigen Hände auf den Tisch gelegt.
»Ich finde das eigenartig«, entgegnete Harper.
Geduldig wie eine Lehrerin schüttelte Lamarr den Kopf.
»Nein, ich denke, das war zu erwarten«, sagte sie noch einmal. »Sie dürfen das nicht aus Ihrer Sicht betrachten. Diesen Frauen wurde Gewalt angetan, buchstäblich und im übertragenen Sinn. Das steckt man nicht so einfach weg.«
»Und sie machen sich jetzt alle Sorgen«, wandte Reacher ein. »Wenn man sie bewachen will, muss man ihnen erklären, weshalb. Scimeca wirkte jedenfalls ziemlich mitgenommen. Und sie hat auch allen Grund dazu. Sie lebt da draußen ziemlich abgeschieden. Wenn ich der Mörder wäre, würde ich sie mir als Nächste vornehmen. Und ich bin mir sicher, dass sie zu dem gleichen Schluss gekommen ist.«
»Wir müssen diesen Kerl fassen«, sagte Lamarr.
Blake nickte. »Dürfte aber nicht ganz leicht sein. Natürlich werden wir die sieben, die eine Lieferung bekommen haben, rund um die Uhr bewachen, aber der Mörder wird das schon von weitem
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