Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
sie.
Sie bückte sich, nahm ihre Tasche, schob den Stuhl zurück und stand auf. Ging langsam und mit unsicheren Schritten zur Tür und starrte weiterhin wie gebannt auf die grünen Flecken an Stavelys Handgelenken, die von den letzten Augenblicken im Leben ihrer Schwester kündeten.
Dann riss sie sich los, öffnete die Tür, ging hinaus und ließ sie leise hinter sich ins Schloss fallen.
»Was gibt’s?«, fragte Blake.
»Ich weiß, wie er sie tötet«, antwortete Stavely. »Aber die Sache hat einen Haken.«
»Was für einen Haken?«, wollte Blake wissen.
»Es ist unmöglich.«
20
»Ich habe das Verfahren etwas abgekürzt«, erklärte Stavely. »Darüber müssen Sie sich im Klaren sein, okay? Ihr habt es eilig, und außerdem gehen wir davon aus, dass er immer nach derselben Methode mordet. Daher habe ich vor allem nach Hinweisen gesucht, die uns eine Antwort auf die Fragen geben können, die uns seit dem Tod des ersten Opfers beschäftigen. Ich meine, wir alle wissen, wodurch sie nicht gestorben sind, richtig?«
»Bislang wissen wir gar nichts«, meinte Blake.
»Richtig. Keine Schlag- oder Stoßverletzungen, weder Schuss- noch Stichwunden, kein Gift, keine Strangulation.«
»Und was war es dann?«
Stavely ging um den Tisch herum und setzte sich auf einen freien Stuhl, drei Plätze von Poulton und zwei von Reacher entfernt.
»Ist sie ertrunken?«, fragte Poulton.
Stavely schüttelte den Kopf. »Nein, ebenso wenig wie die ersten drei Opfer. Ich habe mir ihre Lunge angesehen und keinerlei Hinweis darauf gefunden.«
»Und was war es dann?«, wollte Blake erneut wissen.
»Wie ich Ihnen schon sagte«, erwiderte Stavely. »Entweder man führt einen Herzstillstand herbei, oder man unterbindet die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Deshalb habe ich
mir zunächst das Herz angesehen. Und ihr Herz war völlig unversehrt. Keinerlei Schädigung. Genau wie bei den drei anderen. Und diese Frauen waren fit. Ihre Herzen waren in hervorragendem Zustand. An einem gesunden Herz lässt sich ein Schaden leichter erkennen. Bei einem älteren Menschen ist das Herz mitunter angegriffen, teils verkalkt oder aufgrund länger zurückliegender Beschwerden vernarbt, so dass man frische Schäden leicht übersieht. Aber diese Frauen hatten kerngesunde Herzen, Sportlerherzen. Jede Verletzung wäre mir sofort aufgefallen. Aber es lag keine vor. Folglich sind sie nicht durch Herzstillstand gestorben.«
»Sondern?«, fragte Blake.
»Er hat die Sauerstoffzufuhr unterbunden«, sagte Stavely. »Das ist die einzige Möglichkeit, die übrig bleibt.«
»Und wie?«
»Nun ja, das ist die große Frage. Theoretisch hätte er das Badezimmer abdichten, die Atemluft abpumpen und sie durch ein Edelgas ersetzen können.«
Blake schüttelte den Kopf. »Das ist völlig abwegig.«
»Natürlich«, stimmte Stavely ihm zu. »Er bräuchte die entsprechenden Geräte, Pumpen, Gastanks. Außerdem hätten wir Rückstände im Gewebe gefunden. Mit Sicherheit in der Lunge. Wir haben aber keinerlei Gase festgestellt.«
»Also?«
»Also hat er die Atemwege blockiert. Das ist die einzige Möglichkeit.«
»Sie sagten doch, es gäbe keinerlei Anzeichen für eine Strangulation.«
Stavely nickte. So ist es. Deshalb habe ich eigens darauf geachtet. Eine Strangulation führt normalerweise zu schweren Verletzungen im Hals- und Nackenbereich, zu allerlei Quetschungen und inneren Blutungen. Das fällt einem sofort auf. Das Gleiche gilt fürs Erdrosseln.«
»Aber?«
»Es gibt eine so genannte sanfte Strangulation.«
»Sanft?« warf Harper ein. »Ein scheußlicher Ausdruck.«
»Was ist das?«, fragte Poulton.
»Jemand, der kräftige Arme hat beziehungsweise eine Jacke oder einen Mantel mit gepolsterten Ärmeln trägt, wäre dazu in der Lage«, entgegnete Stavely. »Ein leichter, aber steter Druck genügt.«
»Und? Ist es so?«, wollte Blake wissen.
Stavely schüttelte den Kopf. »Nein. Dabei hinterlässt man zwar keine äußeren Spuren, aber wenn jemand dadurch zu Tode kommt, entstehen innere Verletzungen. Das Zungenbein wäre beispielsweise gebrochen. Zumindest gerissen. Andere Knorpel würden ebenfalls geschädigt. Das ist ein sehr empfindlicher Bereich. Immerhin befindet sich dort der Kehlkopf.«
»Und Sie wollen mir erklären, dass keinerlei Verletzungen vorliegen, nehme ich an«, sagte Blake.
»Nichts Gravierendes«, erwiderte Stavely. »Hatte sie eine Erkältung, als Sie bei ihr waren?«
Er blickte zu Harper, aber Reacher antwortete ihm.
»Nein«, sagte
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