Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Gepäckband am Flughafen. Es passt ins Bild.
Du kletterst von der Straße aus einen kleinen, etwa dreißig Meter hohen Hügel hinauf. Überall stehen verkrüppelte Bäume, die nur etwas über schulterhoch sind. Sie haben kein Laub, doch das Gelände bietet dir Deckung. Du befindest dich in einer Art breitem Graben, in dem du ab und zu großen Felsbrocken ausweichen musst. Oben angelangt, läufst du links den Kamm entlang. Wenn du zu der abschüssigen Stelle auf der anderen Seite kommst, duckst du dich so tief wie möglich, gehst dann in die Knie und arbeitest dich zu den beiden riesigen, aneinander gelehnten Felsen vor, so dass du durch den schmalen dreieckigen Spalt dazwischen einen wunderbaren Ausblick über das ganze Tal hast. Du lehnst dich mit der rechten Schulter an den rechten Block und hast Lieutenant Scimecas Haus genau vor dir liegen, rund zweihundert Meter entfernt.
Das Haus liegt etwas nordwestlich von deinem Standort, so dass du die ganze der Straße zugewandte Seite im Blick hast, und da es zudem rund hundert Meter unterhalb des Bergs steht, hast du alles wie auf einem Präsentierteller vor Augen. Der Wagen des FBI parkt genau davor. Ein blitzblanker, dunkelblauer Buick. Ein Agent sitzt drin. Du benutzt deinen Feldstecher. Der Mann ist noch wach, hat den Kopf erhoben. Er blickt sich kaum um, starrt nur geradeaus und langweilt sich vermutlich zu Tode. Du kannst es ihm nicht verübeln. Zwölf Stunden Wache schieben, die ganze Nacht lang, und das an einem Ort, wo vermutlich der Weihnachtsplätzchenverkauf das letzte große Ereignis war.
Es ist frisch in den Bergen. Die Kälte, die der Fels abstrahlt, kriecht dir in die Schulter. Weit und breit kein Sonnenschein.
Nur finstere Wolken, die sich über den mächtigen Gipfeln ballen. Du drehst dich kurz um und ziehst deine Handschuhe an. Schlingst dir den Schal um die untere Gesichtshälfte. Teils der Wärme wegen, teils, um die Dunstwolken aufzulösen, die dein Atem in der Luft bildet. Du wendest dich wieder dem Haus zu, bewegst die Füße, rutscht ein bisschen herum. Machst es dir bequem. Wieder hebst du das Fernglas.
Das ganze Anwesen ist mit einem Maschendrahtzaun umgeben, der vorn an der Einfahrt offen ist. Ein kurzer Fahrweg führt zu dem einteiligen Garagentor, das sich unter dem einen Ende der vorderen Veranda befindet. Ein Fußweg zieht sich von der Auffahrt aus durch einen gepflegten Steingarten zur Haustür. Der Wagen des FBI steht vor der Einfahrt auf dem Gehsteig, nicht genau in der Mitte, sondern mit dem Heck etwas weiter bergaufwärts. Dadurch hat der Fahrer die Einmündung des Fußwegs unmittelbar im Blick. Ein klug gewählter Standort. Wenn du bergaufwärts auf das Haus zugehst, sieht er dich schon von weitem. Wenn du von hinten kommst, bemerkt er dich vermutlich im Rückspiegel, und sobald du an ihm vorbei willst, sieht er dich mit Sicherheit. Außerdem hat er nach hinten freie Sicht auf den gewundenen Fußweg. Ein klug gewählter Standort, aber nichts anderes hast du vom FBI erwartet.
Du bemerkst etwa eine halbe Meile weiter westlich und gut fünfzig Meter bergabwärts eine Bewegung. Ein schwarz-weißer Crown Victoria, der durch eine Serpentine fährt. Langsam und gemächlich. Er zockelt durch die Kurven und biegt in die Straße ein, in der sie wohnt. Eine weiße Qualmwolke quillt aus dem Auspuff. Der Motor ist kalt. Der Wagen hat die ganze Nacht über hinter dem Polizeirevier gestanden. Er fährt die Straße hinauf, bremst ab und hält neben dem Buick. Die Wagen sind nur etwa einen Schritt weit voneinander entfernt. Du kannst es nicht genau erkennen, aber du weißt, dass die Fenster heruntergelassen werden. Die Fahrer
begrüßen sich, tauschen ein paar Erkenntnisse aus. Alles ruhig, sagt der FBI-Mann. Einen schönen Tag noch, fügt er hinzu. Der hiesige Polizist knurrt etwas. Gibt sich gelangweilt, obwohl er vermutlich aufgeregt ist, weil er einen wichtigen Auftrag hat. Vielleicht sein erster. Bis später, sagt der FBI-Mann.
Der Streifenwagen fährt bergaufwärts und kehrt mitten auf der Straße um. Der Motor des Buick wird angelassen, und der Wagen setzt sich in Bewegung. Der Streifenwagen stößt genau dahinter. Der Buick entfernt sich bergabwärts. Der Streifenwagen rollt ein Stück weiter vor und bleibt genau dort stehen, wo sich der Buick befand. Er schaukelt ein, zwei Mal, dann wird der Motor abgestellt, und die Auspuffwolke löst sich auf. Der Polizist dreht den Kopf nach rechts, so dass er den Fußweg ebenso im Blick hat wie der
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