Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
hundert Meter entfernt, aber trotzdem in einer ganz anderen Welt. Wenn du mal musst, kannst du dich jederzeit in die Büsche schlagen. Er aber ist mitten in der Zivilisation. Umgeben von Straßen, Gehsteigen und
Gärten. Dort kann er nicht einfach irgendwo hinpinkeln. Er würde auf der Stelle festgenommen werden. Müsste sich vermutlich selber festnehmen. Außerdem hat er den Motor nicht laufen. Folglich dürfte es in dem Auto ziemlich kalt sein. Lindert das den Druck, oder wird er dadurch nur noch schlimmer?
Du beobachtest ihn und wartest ab.
Kurz bevor die drei Stunden vorüber waren, kam der Captain und führte sie zu einem Stabswagen, der unten vor der Tür stand.
»Wünsche Ihnen einen angenehmen Flug«, sagte er.
Der Wagen fuhr etwa eine Meile weit rund um das Gelände und hielt dann quer über das Vorfeld auf eine Boeing zu, die gerade aufgetankt worden war und um die allerlei Bodenpersonal herumwuselte. Die Maschine war nagelneu und schneeweiß.
»Wir spritzen sie erst um, wenn wir uns davon überzeugt haben, dass sie etwas taugen«, meinte der Fahrer.
Eine fahrbare Treppe führte zur vorderen Passagiertür hinauf, vor der die Besatzung stand. Alle in Uniform, mit schweren Aktenkoffern und dicken Notizblöcken in der Hand.
»Willkommen an Bord«, begrüßte sie der Kopilot. »Wir haben jede Menge Plätze frei.«
Alles in allem waren es zweihundertsechzig, denn es handelte sich um ein ganz gewöhnliches Verkehrsflugzeug, aber ohne den üblichen Schnickschnack. Kein Video, keine Bordzeitschriften, keine Knöpfe an den Sitzlehnen, mit denen man die Stewardess rufen konnte. Keine Decken, keine Kissen, keine Kopfhörer. Sämtliche Sitze waren mit einem khakifarben Stoff bezogen, der sich steif anfühlte und wie frisch aus der Fabrik roch. Reacher nahm eine ganze Sitzreihe für sich in Beschlag, streckte die Beine aus und lehnte sich mit dem Kopf ans Fenster.
»Wir sind in den letzten Tagen ziemlich viel durch die Gegend geflogen«, stellte er fest.
Harper, die hinter ihm saß, schloss gerade ihren Sitzgurt.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie.
»Hört mal zu, Leute«, rief der Kopilot von vorn. »Ihr seid hier in einer Militärmaschine, und deswegen nehmen wir es mit den ansonsten vorgeschriebenen Ansagen wegen der Schwimmwesten und Notausstiege nicht so genau, okay? Aber deswegen müsst ihr euch keine Gedanken machen, weil wir sowieso nicht abschmieren. Und falls doch, ist eh alles wurscht, weil dann nur noch verkokeltes Hackfleisch von uns übrig bleibt.«
Reacher grinste. Harper würdigte den Kopiloten keines Blickes.
»Und auf wen hat er es nun wirklich abgesehen?«, fragte sie erneut.
»Darauf kommen Sie von selbst«, antwortete Reacher.
Die Maschine setzte kurz zurück, wendete dann und rollte in Richtung Startbahn. Eine Minute später war sie in der Luft und zog im Steigflug über die Randbezirke von Washington hinweg. Dann stieß sie durch eine Wolkenschicht und nahm Kurs Richtung Westen.
Der Typ reißt sich immer noch zusammen. Er sitzt nach wie vor in seinem Auto vor ihrem Haus. Du hast zugesehen, wie ihm sein Kollege das Mittagessen vorbeigebracht hat. Die übliche Tüte, dazu einen großen Becher Kaffee, fast einen halben Liter. Dem armen Kerl dürfte es demnächst ziemlich elend ergehen. Aber dich kann das nicht beirren. Weshalb auch? Es ist zwei Uhr, höchste Zeit, dass du anrufst.
Du klappst das gestohlene Handy auf. Wählst ihre Nummer. Drückst auf die grüne Taste, auf der ein kleiner Telefonhörer abgebildet ist, hörst das Klicken in der Leitung, dann den Klingelton. Du duckst dich in den Windschatten des Felsens, legst dir die richtigen Worte zurecht. Hier
unten ist es wärmer, vor allem nicht so zugig. Du lässt das Telefon weiter klingeln. Geht sie etwa nicht ran? Wäre ihr zuzutrauen. Wenn sich jemand so zickig anstellt, dass er den eigenen Leibwächter nicht einlässt, geht er womöglich auch nicht ans Telefon. Einen Moment lang erschrickst du, weißt nicht weiter. Was willst du machen, wenn sich niemand meldet?«
Sie meldet sich aber.
»Hallo?«, sagt sie.
Sie ist unwirsch, kurz angebunden, auf der Hut. Meint vermutlich, der Sergeant von der Polizeidienststelle ruft sie an und will ihr gut zureden, damit sie weiter spurt. Oder jemand vom FBI, der sie besänftigen will.
»Hallo, Rita«, sagst du.
Du spürst, wie sie auf deine Stimme reagiert, wie sie sich beruhigt.
»Ja? «, sagt sie.
Du erklärst ihr, was sie tun soll.
»Jedenfalls nicht auf
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