Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
leise.
»Sie steht unter Hochdruck«, sagte er. »Sie müssen ein bisschen nachsichtig mit ihr sein.«
»Muss ich das?«, erwiderte Reacher. »Warum, zum Teufel, sollte ich? Sie sitzt hier rum, trinkt meinen Kaffee und beschimpft mich.«
»Wir haben es mit einem ganz bestimmten Kreis von Opfern zu tun, richtig? Und er ist möglicherweise kleiner, als Sie denken. Frauen, die Anzeige wegen sexueller Belästigung erstatteten und anschließend den Dienst quittierten. Sie sprachen von Hunderten, vielleicht sogar Tausenden, aber nach Auskunft des Verteidigungsministeriums waren nur einundneunzig Frauen davon betroffen.«
»Und?«
»Wir denken, dass er sich alle vornehmen will. Folglich wird er weitermachen, bis man ihn fasst. Falls er gefasst wird. Und drei hat er bereits getötet.«
»Und?«
»Julias Schwester ist eine der verbliebenen achtundachtzig.«
Wieder Stille, bis auf die Geräusche aus der Küche.
»Deshalb macht sie sich also Sorgen«, sagte Blake. »Nicht dass sie wirklich Angst hat, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es von den achtundachtzig ausgerechnet diese eine trifft, ist nicht allzu groß. Aber immerhin ist sie persönlich betroffen.«
Reacher nickte bedächtig.
»Dann sollte sie an dem Fall nicht arbeiten«, sagte er. »Sie hat nicht den nötigen Abstand.«
Blake zuckte die Achseln. »Sie bestand darauf. Es war meine Entscheidung. Ich kann damit leben. Ein gewisser Druck kann zu Ergebnissen führen.«
»Nicht in ihrem Fall. Sie ist ein unsicherer Kantonist.«
»Sie ist meine beste Profilerin. Sie leitet praktisch die Ermittlungen in diesem Fall. Deshalb brauche ich sie, ob persönlich betroffen oder nicht. Und sie braucht Sie als Mittelsmann, und ich brauche Ergebnisse.«
Er lehnte sich zurück und starrte Reacher an. Ein fetter alter Mann, der sich in seinem Anzug sichtlich unwohl fühlte, trotz der nächtlichen Kühle schwitzte. Aber seine Miene hatte etwas Unbeugsames an sich. Ich brauche Ergebnisse .
Reacher hatte nichts gegen Menschen, die Ergebnisse brauchten. Aber er sagte nichts. Sie schwiegen sich eine Zeit lang an. Dann kam Lamarr zurück und brachte eine frische Kanne Kaffee. Ihr Gesicht war so blass wie zuvor. Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen.
»Ich stehe zu meinem Profil«, sagte sie. »Bei dem Typ handelt es sich um jemanden, der Ihnen ganz ähnlich ist. Vielleicht um jemanden, den Sie früher kannten oder mit dem Sie sogar gedient haben.«
Reacher blickte zu ihr auf. »Tut mir Leid, dass die Sache Sie persönlich betrifft.«
»Ich kann auf Ihr Mitgefühl verzichten. Ich muss den Typ fassen.«
»Tja, dann viel Glück.«
Sie bückte sich und goss Blake Kaffee nach, dann ging sie zu Reacher und füllte dessen Tasse.
»Danke«, sagte er.
»Werden Sie uns helfen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
Schweigen.
»Wie wär’s mit einer Beratertätigkeit?«, fragte Blake. »Rein fachliche Unterstützung? Hintergrundrecherchen?«
Wieder schüttelte Reacher den Kopf. »Nein, kein Interesse.«
»Wie wär’s mit einer gänzlich passiven Rolle?«, fragte Blake. »Wenn Sie uns nur Ideen liefern? Wir denken, dass Sie gewisse Gemeinsamkeiten mit diesem Kerl oder zumindest mit diesem Menschentyp haben könnten.«
»Nicht meine Kragenweite«, meinte Reacher.
Wieder Schweigen.
»Wären Sie bereit, sich hypnotisieren zu lassen?«, fragte Blake.
»Hypnotisieren? Warum?«
»Vielleicht erinnern Sie sich dabei an etwas, das Sie vergessen haben. Sie wissen schon, irgendein Typ, der irgendwelche
Drohungen geäußert oder abfällige Bemerkungen gemacht hat. Irgendetwas, dem Sie seinerzeit keine allzu große Beachtung geschenkt haben. Möglicherweise fällt es Ihnen wieder ein. Es könnte uns weiterhelfen.«
»Arbeitet ihr etwa immer noch mit Hypnose?«
»Manchmal«, gab Blake zurück. »Es kann ganz nützlich sein. Julia ist da Expertin. Sie würde das übernehmen.«
»In diesem Fall, nein, danke. Womöglich lässt sie mich nackt die Fifth Avenue entlanglaufen.«
Wieder Stille. Blake sah weg, dann wandte er sich wieder an Reacher.
»Zum letzten Mal, Reacher«, sagte er. »Das FBI bittet Sie um Ihre Mithilfe. Wir beschäftigen ständig Berater. Sie werden dafür auch entlohnt und so weiter. Ja oder nein?«
»Deswegen habt ihr mich hoppgenommen, stimmt’s?«
Blake nickte. »Manchmal funktioniert das.«
»Inwiefern?«
Blake zögerte kurz und entschied sich dann zu antworten. Reacher bemerkte, dass er offen zu ihm sein wollte, weil er sich davon mehr
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