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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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sagte Helena, »treibenlassen.« Es klang schläfrig und verwaschen.
    »Ich weiß genau, wie das ist.« Hughes wischte seine feuchten Hände an der Hose ab und trank sein Glas leer.
     
    Einige Zeit später betrat Hughes, nachdem Nick und er Helena nach oben verfrachtet hatten, das eheliche Schlafzimmer, wo Nick gerade dabei war, sich zum Schlafen fertig zu machen. Gebannt sah er zu, wie sie einen Clip vom Ohrläppchen zog und ihn behutsam auf ein kleines Samtkissen legte. Sie war schon immer sehr überlegt vorgegangen, wenn sie sich auszog, aber er konnte sich auch an Situationen erinnern, wo sie ihre Sachen am Ende eines gemeinsam verbrachten Abends von sich schleuderte – Kleider, Schmuck, Schuhe – und sich ungemein darüber freute, sie endlich los zu sein. Wann war sie so pingelig geworden, fragte er sich. Es drängte ihn danach, zu ihr zu gehen, sie um Vergebung zu bitten und ihr den Schwur abzunehmen, ihn nie zu verlassen. Aber das würde sie nicht verstehen. Sie würde glauben, er sei verrückt geworden. Deshalb berührte er sie nur leicht an der Schulter. Dann ging er in sein Arbeitszimmer hinunter. In seiner Tasche klapperte der kleine Schreibtischschlüssel.
     
    Southampton, Juli 1945
    Lieber Hughes,
    was soll ich sagen? Ich könnte sagen: Bitte, bitte, bitte tu das nicht! Ich könnte Dir sagen, wie falsch diese Entscheidung ist, weil sie mich zwingt, mich zwischen Dir und mir zu entscheiden. Wie soll das gehen? Ich kann es nicht, ich werde nicht noch einmal heiraten. Ich könnte Dir versichern, wie endgültig diese Entscheidung ist, denn, mein Liebster, sie ist endgültig. Es hat nichts mit Dir zu tun. Es geht nicht darum, dass ich Dich nicht als Ehemann will oder dass ich Dich nicht mit aller Überzeugung für den einzigen Mann halte, den ich mit jeder Faser meines Herzens lieben könnte. Es hat etwas mit mir zu tun, mit dem Menschen, der ich bin. Ich weiß, dass eine Frau eine solche Entscheidung eigentlich nicht treffen darf. Ich weiß, ich sollte mich unglaublich darüber freuen, dass Du Deine Frau verlassen und mich heiraten, alles für unsere Liebe aufgeben würdest. Aber ich will nicht die Ehefrau eines Mannes sein. Ich will, dass Du zu mir kommst, weil Du mit mir zusammen sein willst, und nicht, weil ich ein sicherer Hafen oder eine Zuflucht vor dem Rest der verdammten Welt bin. Dass Du es ehrlich und wahrhaftig willst, so wie wir es immer miteinander gehalten haben, Du und ich.
    Du hast mir gesagt, wenn Du Deine Frau (warum schaffe ich es nicht einmal, ihren Namen zu schreiben?) verletzen müsstest, dann nur, wenn es für das Ganze wäre. Dass eine Heirat Deine Art sei, ehrlich zu sein. Aber warum verstehst Du das nicht: Wir haben doch alles – welchen Unterschied würde da ein Stück Papier machen? Ich werde Dich immer lieben, Hughes, egal, was geschieht. Ich werde immer für Dich da sein, in Reichtum und Armut, in Krankheit und Gesundheit. Das schwöre ich. Bitte komm zu mir zurück!
    In Liebe
    Eva
     
    Hughes ließ den Brief sinken und fuhr sich durchs Haar. Er starrte auf den Stapel. Er sollte die Briefe einfach verbrennen. Er wusste seit jeher, dass es unklug war, sie zu behalten, dass sich nichts änderte, wenn er sie immer und immer wieder las. Und nach einer Weile hatte er damit aufgehört. Aber er hatte gewusst, dass sie da waren, das war das Ausschlaggebende gewesen. Wenn sich die Tage vor ihm hinzogen wie auf einem endlosen Gewaltmarsch, hatte ihn die Existenz dieser Briefe daran erinnert, dass sich ihm einmal die ganze Welt geöffnet und dargeboten hatte.
    Jetzt hatte sich etwas verändert; jetzt hatte er Angst. Er war sich nicht sicher, ob es an ihm lag oder an dem, was sich rings um ihn ereignete, daran, dass das Telefon im Haus geklingelt und Nick frierend und allein an der Fähre auf ihn gewartet hatte. Dazu kam das komische Gefühl an diesem Abend, das Gefühl, Evas Briefe wären an jemanden gerichtet, der nichts mit ihm zu tun hatte. Es war, als erwachte man vom Pfiff eines abfahrenden Zuges, in dem man eigentlich sitzen sollte.
    Draußen in der Eingangshalle knarzte eine Bodendiele. Er atmete schneller. Er stand auf, ging zur Tür und spähte in das dunkle Haus. Er glaubte, einen zur Küche huschenden Schatten zu sehen, doch als er ihm folgte, war da niemand. Er verriegelte die leicht in ihrer Angel schwingende Hintertür und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück.
     
    Am nächsten Morgen gingen Hughes und Nick gemeinsam in den Ort. Nick wollte das Postfach leeren, und

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