Zeit der Raubtiere
sie die Schere nie in die Hülle steckte, hatte die Seeluft am Metall genagt. Doch mit den Rosen ging Nick sorgsam um, schob die Zweige mit ihren schlanken braunen Armen vorsichtig beiseite, um an verblasste Blüten und an Wildtriebe heranzukommen, die sich im Inneren des Strauchs verbargen.
Der Gartenkorb hinter ihr war umgekippt, und rings um ihre Füße lagen rote Blütenblätter. Der Anblick kam ihm vertraut vor, und er dachte an den Geruch des Meeres in dem kleinen Mädchenzimmer im oberen Stock zurück.
Nick trug keine Handschuhe und hatte sich offenbar gestochen, denn plötzlich zuckte sie von dem Stengel zurück, den sie gerade gehalten hatte. Stirnrunzelnd musterte sie ihren Finger, und Hughes glaubte zu sehen, dass ihr im hellen Licht die Tränen in die Augen traten. Aber es kam kein Aufschrei aus ihrem Mund.
Er ging zu ihr und betrachtete den kleinen hellroten Fleck an der Stelle, wo der Dorn ihre Haut durchdrungen hatte. Dann steckte er sich ihren Finger in den Mund. Sie sah zu ihm auf, blinzelte in die Sonne. So standen sie eine Weile, ohne sich zu bewegen, und blickten einander schweigend an. Nick legte ihre andere Hand an sein Gesicht. Dann zog sie den Finger aus seinem Mund und machte mit dem Ausputzen der Rosen weiter.
Die Maus fand Hughes später an diesem Nachmittag, als er zu seiner Werkbank im Keller hinunterging, um einen zerbrochenen Bilderrahmen zu reparieren. Das kleine Ding war brutal aufgeschlitzt worden; es fletschte in einer Art Urschrei die Zähnchen, und in einem Auge steckte der kleine Zahnstocher. Hughes zog ihn vorsichtig heraus, aber als er das Tier aufheben wollte, zitterte seine Hand. Erst nach einer Weile brachte er es über sich, die Maus zu berühren, und als er sie in die Mülltonne warf, musste er den Blick abwenden.
Juli 1959
III
E ine Woche nach Hughes’ Ankunft brach die Hitzewelle, die sich schon den ganzen Sommer über angedroht hatte, über die Insel herein. Hughes war in die Eisenwarenhandlung gefahren, um Ventilatoren für einige Zimmer im oberen Stockwerk zu kaufen, aber es gab keine mehr. Die Luft im Haus war zäh und klebrig wie ein Sumpf, erstickend. Im Freien war es noch schlimmer, dort verbrannte die Sonne die Haut und das Gras und verwandelte den Sand in Lava. Die zarten Blüten des Seidenbaums fielen zu Dutzenden ab und bildeten einen stinkenden Teppich auf Rasen und Vordertreppe. Der Pflasterweg war mit Insektenpanzern übersät, so brüchig, als hätte man die kleinen Geschöpfe bei hoher Temperatur geröstet, während sie in den Verandaschatten zu kriechen versuchten.
Den Kindern machte es merkwürdigerweise nichts aus, obwohl sie den ganzen Tag in der erbarmungslosen Hitze verbrachten. Daisy wirkte von der Geschichte mit dem Hausmädchen zum Glück mehr oder weniger unbeeindruckt und konzentrierte sich mit eigentümlichem Eifer ganz auf das Tennismatch. Und Ed war bei den Pfadfindern, genau wie Hughes gehofft hatte, sicher und gut untergebracht.
Auf Hughes übte die brütende Hitze eine sonderbare Wirkung aus. Sie hatte in ihm nicht die Mattigkeit verursacht, unter der Helena litt, die sich in einen Kokon aus Alkohol zurückgezogen hatte, sondern eher ein Fieber, das die Haut so empfindlich machte, dass jede Berührung schmerzte. Ständig dachte er über Nick nach und ertappte sich dabei, dass er sie schon fast zwanghaft beobachtete.
Am Tag, als er in Tiger House eingetroffen war, hatten sie miteinander geschlafen, und er hatte überlegt, wann es das letzte Mal gewesen war. Er wusste es nicht mehr; er wusste nur, dass ihn die Plötzlichkeit, mit der die Begierde gekommen war, völlig überrumpelt hatte. Sie hatten darüber gestritten, ob Daisy weiter zum Tennistraining gehen sollte. Und dann war etwas gekippt. Nick sprach von dem portugiesischen Mädchen, sie zitterte. Er hielt sie, versuchte sie zu trösten, und dann überwältigten ihn ihr Glaube, er könnte vielleicht alles wieder in Ordnung bringen, und ihr feuchtes, an seine Schulter gepresstes Gesicht, einfach ihre Nähe. Schließlich hatte er ihr fast das Kleid zerrissen, um an sie heranzukommen und Salz und Körpercreme auf ihrer Haut zu schmecken.
Seitdem bekam er die Episode nicht mehr aus dem Kopf. Ob es an dem Mord lag oder an der Hitze – Hughes entdeckte plötzlich Risse in der sonst so glänzenden Außenseite seiner Frau, kleine Schwachstellen. Etwas Fehlbares, fast unerträglich Reales. Etwas, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte.
Es nahm ihn völlig gefangen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher