Zeit der Raubtiere
Hughes musste seine Scotchvorräte aufstocken, die durch Helenas Gewohnheit, das Zeug in sich hineinzuschütten, schwer dezimiert worden waren. Es sah nach einem schönen Tag aus, heiß und klar, aber mit ausreichend Wind, um die Mücken fernzuhalten.
»Wir sollten die Star rausholen«, sagte Hughes.
»Nein, heute nicht«, erwiderte Nick. »Ich finde, wir sollten zu Hause bleiben, nach allem, was passiert ist.«
Wahrscheinlich hatte sie recht, aber es war ein so frischer Morgen, dass er zu glauben begann, der Schreck über die jüngsten Ereignisse sei übertrieben. Während sie durch die Straße schlenderten und Nick den französischen Flechtkorb in der Hand schwang, mit dem sie immer zum Einkaufen ging, vergaß er fast die Szene mit Ed und Frank Wilcox und dem Hausmädchen.
»Außerdem werden sämtliche Nachbarn im Umkreis von zehn Meilen anrufen und alles genau wissen wollen.«
»Dann hängen wir eben das Telefon aus.«
»Scheißtelefon«, sagte Nick und seufzte. »Aber dann kommen sie vielleicht sogar selbst vorbei.«
»Gut möglich. Wir lassen es einfach klingeln. Ich habe jedenfalls keine Lust, mir Caros oder Dollys Hypothesen zu dem Fall anzuhören.«
»Ich auch nicht.«
Hughes ergriff spontan ihre Hand. Sie ließ es zu. Ihre Hand war warm.
»Ich habe nachgedacht, Liebling«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir etwas für Ed kaufen, irgendwas für Jungen.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass er irgendwie verwildert. Vielleicht braucht er ein bisschen väterliche Aufmerksamkeit.«
»Ich bezweifle, dass er die von einem Geschenk bekommt.«
»Doch«, beharrte Nick, »ich glaube, du musst ihm etwas schenken, damit er weiß, dass es jemanden gibt, zu dem er aufblicken kann.«
»Ich bitte dich, Nick!«
Nick entzog ihm ihre Hand. »Wenn du es nicht machst, kaufe ich ihm etwas und sage, dass es von dir ist.«
»Meinetwegen.«
»Ein Schweizer Armeemesser wäre ein schönes Geschenk«, fuhr Nick fort. »Dann ist er gut ausgerüstet für die Pfadfinder.«
Hughes konnte es nicht fassen. Jetzt sollte er auch noch Geld für dieses Früchtchen ausgeben! Und dass Ed glaubte, er würde für sein Schweigen bezahlen, war das Letzte, was er wollte.
So langsam wurde das Ganze wirklich lächerlich. Er beschloss, die Briefe zu vernichten. Es war vorbei, und zwar schon seit einer Ewigkeit, und er als Einziger hatte es bisher nicht begriffen.
Er dachte an Eva, als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, vor dem Claridge’s, in ihren Breeches. Sie hatte nicht gewunken, als das Taxi abfuhr. Erst an Bord der Jacob Jones war ihm der Brief in die Hände gefallen, den sie in seine Tasche geschmuggelt hatte.
Lieber Hughes,
Du hast klargemacht, dass es nichts mehr zu sagen, zumindest aber nichts mehr für mich zu erbitten gibt. Ich bedaure Deine Haltung, aber ich wünsche Dir alles Gute. Du sollst glücklich sein. Endlich habe ich es geschafft, ihren Namen zu schreiben.
Eva
Und sie hatte Wort gehalten. Sie hatte nie wieder geschrieben. Sie betrachtete es als das, was es war – eine Kriegsromanze, die zu nichts geführt hatte, ein Klischee. Er dagegen war blind geblieben wie ein Idiot.
In der Eisenwarenhandlung suchte er ein rotes, mit allem Möglichen bestücktes Messer aus, in das sogar eine Pinzette und ein Zahnstocher aus Bein eingebaut waren. Vielleicht hatte Nick recht. Vielleicht brauchte der Junge nur ein bisschen Führung.
Den hoffnungsvollen Gedanken trug er auf dem ganzen Rückweg in sich; er zerstob erst, als er Ed das Geschenk überreichte.
Ed drehte das Messer in der Hand und starrte das knallrote, glänzende Ding an wie eine verzückte Elster.
»Danke«, sagte er.
»Freut mich, dass es dir gefällt«, erwiderte Hughes. »Als ich ein kleiner Junge war, hat mir mein Vater eines geschenkt, ich kam gerade zu den Pfadfindern.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber er fand, es klang gut.
»Es wird mir eine große Hilfe sein«, sagte Ed. Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und lief zur Eingangstür.
Hughes beobachtete durch das Fliegengitter, wie der Junge die Treppe hinuntersprang und zum Eingangstor ging, und verfluchte sich. Dieses Kind war schwer gestört, und er hatte ihm gerade ein Messer geschenkt. Er trat auf die Veranda hinaus. Ed war nicht mehr zu sehen, aber am Zaun stand Nick und entfernte welke Blüten von den Rosensträuchern. Ihr Gesicht war von der Sonne gerötet.
Mit ihrer rostigen Gartenschere schnitt sie die bräunlichen Blüten vom Stengel. Weil
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