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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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zu berühren war jetzt, als berührte er ein freiliegendes Kabel. Und der Schock in Verbindung mit der glühenden Hitze gab ihm das Gefühl, einen an Irrsinn grenzenden Sonnenstich zu erleiden. Dennoch blieb etwas von Nick entrückt, unerreichbar.
    Eines Morgens wachte er auf und lag allein im Bett. Trotz der frühen Stunde hatte die Luft nichts Frisches, und der Schlafanzug klebte an seiner feuchten Haut. Durchs Fenster sah er die Sonne über dem Hafen aufsteigen. Als er nach unten ging, war es still im Haus. Nick saß im Wohnzimmer. In einer Hand hielt sie eine Liste, die sie vergessen hatte, vor ihr lag ein Stapel Einladungen zur Party. Sie war in einen Gedichtband vertieft, in einen, den er noch von früher kannte, weil sie ihm zu Beginn ihrer Ehe oft im Bett vorgelesen hatte. Ein Ellbogen war auf die polierte Platte des Walnussholztisches gestützt; ihre Lippen formten lautlos die Wörter, und das Haar fiel ihr ins Gesicht. Obwohl die Rückseite des Hauses nach Westen ging und um diese Tageszeit dunkler war, sah er, dass sich an ihrem Hals Schweiß gebildet hatte und der Saum des Nachthemds feucht war. Er blieb in der Tür stehen, wollte zu ihr, aber sie erschien ihm so ganz und gar vollendet, dass er sich wie ein Eindringling vorkam. Er betrachtete sie eine Weile. Dann ging er wieder hinauf und nahm ein Bad.
    Er fühlte sich einsam wie noch nie – so einsam, dass er glaubte, es wäre besser gewesen, Nick nicht wiederentdeckt zu haben. Welche Gedanken sie auch hegte, sie verbarg sie in dieser hysterischen Partyplanung. Sie saß an ihrem Schreibtisch, schrieb Menükarten, die sie wieder verwarf, arbeitete Pläne aus und übertrug, ständig die Hand ausschüttelnd, irgendetwas von einer Art Hauptliste auf andere Listen. Er bot ihr seine Hilfe an, dann trug sie ihm irgendwelche Besorgungen auf, schickte ihn beispielsweise zur Post, um noch mehr Briefmarken zu kaufen, doch in Hughes blieb ein irrationaler Widerwille gegen die Party, gegen die Post, die Briefmarken, als wären sie alle Rivalen, die ihm den Weg zur Zuneigung seiner Frau versperrten.
    Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Star, verbrachte seine Nachmittage vor dem Bootshaus, schmirgelte den Rumpf ab, strich ihn neu und versuchte, nicht an Nick zu denken.
    Da er schon im Juni an der Jolle gearbeitet hatte, war eigentlich nichts mehr zu tun, aber die immer gleichen Abläufe beruhigten ihn: das Abschleifen und Schmirgeln, die verlorenen Stunden mit tropfnassem Körper, das Abtasten des Holzes nach rauhen Stellen, der beißende Geruch der Grundierung. Es war eine schweißtreibende Angelegenheit, aber wenn es zu viel wurde, sprang er einfach vom Landungssteg in den kühlen Hafen, vor sich die Küste von Chappy, die Augen von Salz und Sonne brennend.
    Eines Nachmittags, als er gerade mit dem zweiten Anstrich beginnen wollte, öffnete sich der Himmel, und dicke, schwere Tropfen fielen herab. Fluchend zog er die Jolle so schnell wie möglich ins Bootshaus und holte die beiden Böcke herein. Es war eines von den heftigen Gewittern, die über die Insel fegten, um sich fast so plötzlich, wie sie gekommen waren, wieder zu verziehen. Hughes beschloss, zu bleiben, bis es vorbei war. Er nahm sich ein Strandtuch und begann den Bootsrumpf abzutrocknen. Er konnte es kaum erwarten, das Ergebnis seiner Mühe zu sehen.
    In das Prasseln des Regens auf dem Dach mischte sich ein leichtes Klopfen an der Seitenwand des Bootshauses, und Nick erschien. Sie trug einen roten Badeanzug und hielt einen kleinen Korb in der Hand.
    »Hallo.« Sie lächelte ihr breites Lächeln. »Ich dachte, du könntest vielleicht eine Pause brauchen«, sagte sie und deutete nach oben auf den Regen. »Ich habe etwas zum Mittagessen dabei.«
    Hughes wischte sich mit einem Hemdzipfel über die feuchte Stirn und suchte nach Worten. Er wusste nicht, warum ihr Erscheinen ihn so überraschte, aber sie war aufgetaucht wie ein seiner Phantasie entstiegenes Wesen.
    »Schockiert es dich, dass ich den ganzen Weg hierher im Badeanzug gekommen bin?«
    Es hatte tatsächlich etwas mit dem Badeanzug zu tun, aber auch mit den nassen Haaren, die sich um ihre Ohren schmiegten, den langen braunen Beinen, die in dem roten Baumwollstoff endeten, und mit ihren bloßen Füßen, an deren zarten Gelenken feuchte Grassprenkel hingen.
    »Nein, das ist doch ganz vernünftig«, sagte er ziemlich trottelig.
    »Fand ich auch.« Nick stellte den Korb ab. »Es hat mich an Florida nach dem Krieg erinnert und an diesen gelben

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