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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Alle außer Harry Banks, der dreinschaute wie einer, der den Witz nicht verstanden hatte.
    Hughes spürte eine Hand auf seiner Schulter.
    »Hallo, Hughes. Hallo, Rory.«
    Hughes sah Frank an und quälte sich ein Lächeln ab. »Frank.«
    »Meine Damen.« Frank Wilcox grinste noch breiter.
    Nick betrachtete ihn schweigend.
    »Hallo, Frank. Hallo, Etta«, sagte Dolly.
    »Hallo.« Ettas Stimme klang so heiser, als hätte sie schon eine ganze Weile keinen Gebrauch mehr von ihr gemacht.
    Niemand hielt es für nötig, Harry Banks vorzustellen. Frank stand inmitten der immer intensiver werdenden Stille, nickte schließlich und setzte den Weg zu seinem Tisch fort, als wäre es das Normalste der Welt. Hughes beobachtete, dass er sich zu Etta hinüberbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, aber ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
    Hughes senkte den Blick auf seine Speisekarte. »Die Seezunge klingt gut.«
    »Ja, also dann …«, sagte Dolly.
    Rory schnitt ihr das Wort ab. »Lass gut sein, Dolly. Ich war noch nie ein großer Freund von Seezunge.«
    Harry Banks blickte verlegen lächelnd von einem zum anderen. »Mir ist da offenbar etwas unglaublich Aufregendes entgangen.«
    »Nicht das Geringste«, erwiderte Hughes.
    »Wie zugeknöpft ihr beide seid!«, warf Dolly ein. Dann sagte sie, an Harry gewandt: »Neulich wurde das Hausmädchen der Familie Wilcox ermordet aufgefunden. Was für einigen Wirbel gesorgt hat, wie Sie sich denken können.«
    »Dolly.« Rorys Stimme hatte einen warnenden Unterton.
    »Gut, das ist wohl kein passendes Thema beim Essen. Wie langweilig.« Dolly begann sich mit der Speisekarte zu beschäftigen.
    Hughes sah zu Nick hinüber, die kein Wort gesagt hatte, und bemerkte, dass sie immer noch das Ehepaar Wilcox anstarrte, das ein paar Tische weiter saß. Sie zog eine Zigarette aus der Handtasche. Hughes beugte sich zu ihr, um ihr Feuer zu geben. Ihre Hand zitterte, und er hielt sie mit seiner fest.
    Nick zog die Hand zurück und griff nach ihrer Speisekarte. »Das Chateaubriand ist hier immer gut«, erklärte sie in einem fröhlichen Ton, der Hughes das Herz zerriss.
     
    Nach dem Essen drehten sich die Gespräche, wie nicht anders zu erwarten, um das Wetter.
    »Diese Hitze«, sagte Dolly.
    »Und keine Ventilatoren«, fügte Rory hinzu.
    »Ich habe gelesen, dass die Hitze in D. C. eine wahre Selbstmordwelle ausgelöst hat«, erzählte Harry Banks und zündete sich eine Zigarette an. »Angeblich ist ein Mann den ganzen Weg von seinem Haus zur Key Bridge gelaufen, hat dabei laut über die Hitze geschimpft und ist dann gesprungen – mitten in der Hauptverkehrszeit.«
    »Wirklich?«, sagte Dolly. »Du meine Güte. Also, ich habe irgendwo gehört, dass sich mehr Menschen montags als an jedem anderen Tag umbringen.«
    »Das liegt an der Arbeit«, erklärte Rory. »Sie wollen nicht zurück in die Arbeit.«
    »Vielleicht hängt es einfach mit der Monotonie zusammen«, sagte Hughes. »Weil jeder Montag gleich ist, wird auch jeder Monat, jedes Jahr gleich sein.«
    Er spürte Nicks Blick auf sich ruhen.
    »Tja, wenn das größte Problem dieser Leute die Monotonie ist, brauchen sie eben ein dickeres Fell«, meinte Rory.
    »Ganz genau«, bestätigte Hughes.
    »Ich weiß nicht«, sagte Dolly. »Für mich ist Monotonie zwar nichts Reizvolles, aber wir müssen doch alle irgendwie damit zurechtkommen. Schließlich besteht das Leben nicht nur aus Aufregung und Abenteuer, oder?« Und zu ihrem Mann gewandt: »Entschuldige, Liebling.«
    Rory warf ihr eine Kusshand zu.
    »Aber es ist doch das eigene Leben«, sagte Harry Banks. »Man kann es so aufregend machen, wie man will. Oder eben nicht.«
    »Da spricht ein echter Junggeselle«, erwiderte Rory.
    »Schäm dich, Rory! Es liegt doch nicht an der Ehe, wenn das Leben … na ja, öde ist. Zumindest nicht nur. Es liegt an allem, an all den Kleinigkeiten, die man jeden Tag machen muss.«
    »Ich glaube, es liegt an der Einsamkeit«, sagte Nick. »Und an der Sehnsucht.«
    »Wohl wahr«, stimmte Dolly ihr zu. »Erzähl doch mal!«
    Nick lachte. »Nein, im Ernst – ich weiß, alle glauben, dass Sehnsucht etwas Lächerliches, Albernes für junge Leute ist. Aber wer sagt das denn? Ich meine, ohne Sehnsucht … Das ist nämlich der wahre Grund, weshalb Menschen von der Brücke springen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du so romantisch bist, meine Liebe«, sagte Dolly. Dann sah sie ihren Gast an. »Und was meinen Sie, Harry?«
    »Ich meinte die Ehe gar nicht, obwohl Sie recht haben,

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